Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
gemeinsam schwärmten wir davon, wie froh wir seien, dass es die DDR nicht mehr gab, aber wie schön die DDR, auf der anderen Seite, auch wieder gewesen war.
    Heiko schwärmte von den Orangen: »Erinnerst du dich noch? Die kamen aus Kuba, und geschmeckt haben siewie Stroh. Aber wie froh war man, wenn man welche hatte! Heute könntest du mir zentnerweise Apfelsinen kaufen.« Pfundi brachte den Baumkuchen aus der DDR ins Spiel: »Den konntest du in den Westen schicken, den haben sie gewollt.« Und dann schwärmten alle vom Vanilleeisbecher aus der DDR. Von watt? Richtig gehört, vom Original-DDR – Vanilleeisbecher: Vanilleeis, pürierte Früchte, frische Sahne. Gefragt, was Eric, der bei Mauerfall fünf Jahre alt gewesen war, von der DDR noch erinnerte, antwortete er: »Das kann ich dir genau sagen. Drei Dinge. Die Warte-schlangen vor den HO – Läden. Die wunderbaren Partys bei uns zu Hause. Und die Russen. Wenn die Russen mit achtzig Sachen über die Straßen gebrettert kamen, dann musstest du als kleines Kind sehen, dass du in den Hauseingang kamst, sonst wurdest du über den Haufen gefahren.«
     
    Ein paar Bier gingen noch. Heiko ließ ein Tablett mit Koks servieren (Weinbrand mit einem Zuckerwürfel und zwei Kaffeebohnen), und Rampa erklärte, ziemlich schlau und ziemlich überraschend, dass in der DDR sogar das Wetter besser gewesen wäre. Es war ein guter, weil ironischer Moment, der den DDR – Nostalgikern am Tisch den Mund stopfte. Rampa hob das große Glas mit dem Bier: »Mensch, wir haben uns doch unser eigenes Wetter gemacht. Das ging vom Eisernen Vorhang im Westen bis zur Oder-Neiße-Grenze. Und unser Wetter, das haben wir dann gegen Devisen nach Ungarn, Tschechien und in die UdSSR verkauft. Wir waren schon ein schlaues Land.«
    Crooner traf gegen elf Uhr im Schröder ein. Er trug einen Anzug, der ihm gut stand, er kam direkt von einem Kundengespräch in Berlin.
    Bier.
    Bier.
    Bier.
    Hallo, du – du liebe, schöne, süße, gute Molle, du bist so voll korrekt, so voll in Ordnung, du bist echt gut.
    Ein Bier, lieber Heiko, geht hier bitte noch hin.
    Ich sehe dich.
    Ich verstehe alles.
    Ich habe so voll den Durchblick.
     
    In diesen späten Stunden, so dachte der Reporter, konnte der Reporter einmal mehr erleben, wie er vom Saufen tatsächlich klug wurde (mehr sah, mehr aufnahm, mehr spürte, sich mehr vorstellen konnte).
    Gegen Mitternacht hielt einer der Trinker sein Handy in die Höhe und meldete den Tod von Michael Jackson. Heiko kommentierte über die Tische hinweg: »Ein Kinderschänder weniger.« Und wir standen den Rest der Nacht beisammen und quakten und quatschten und lachten und tranken bis drei Uhr früh.

[Menü]
23 Speedy (Spaziergang III)
    Mitte Juli. Was tat das Wetter? Es war schönster deutscher Hochsommer, so wie man den Sommer komischerweise immer aus der Zeit von ganz früher, der Kindheit, in Erinnerung hatte, als Deutschland noch ein ganz anderes Land gewesen war – mit Autos, die stanken, Essen, das nach Plastik schmeckte, Werbung, die peinlich berührte, Politikern, die für linke oder für rechte Überzeugungen standen, und mit einer Grenze, die, mit Todesstreifen und Stacheldraht gesichert, das Land in West und Ost, eine Bundesrepublik und eine DDR, zerteilte.
    Heute war alles eine Bundesrepublik. Drüben, in der Erinnerung, lag das alte Deutschland, hier war das neue.
    Der Himmel stand stählern dunkelblau über der Kleinstadt, die Wolken fetzten darüber hinweg, aber durch die Hitze ging immer ein kühler Luftzug, alles rauschte, flutete, windete und war in lichter, heller, aufgeregter Bewegung. Die Blätter in den Bäumen machten: Knister! Die Luft in den Straßen machte: Ping! Um zehn Uhr früh war es gefühlte vier Uhr nachmittags, der Mensch dachte »Bier«, »Eiscafé« und »Schwimmen gehen«, und alles war so schön und sommerurlaubig fett und bunt und froh, dass der Reporter mitten unter den Menschen auf der Hauptstraße stehen und Hut tragen und grinsen wollte und sich fragte: Wo konnte es schöner sein? Welcher Mensch wollte denn woanders wohnen als exakt hier, in dieser Kleinstadt?
     
    Bei den Jungs im Proberaum. Raoul erzählte, er habe die Theorieprüfung für den Lkw-Führerschein im dritten und letzten Anlauf bestanden (neun Fehlerpunkte, das passte, prost). Raoul erklärte, dass der Job des Lkw-Fahrers für ihn eigentlich keine berufliche Option darstellte: Man sei tage-, manchmal wochenlang von zu Hause fort. »Das Leben in der Fahrerkabine, ditt ist mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher