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D.E.U.S.

D.E.U.S.

Titel: D.E.U.S.
Autoren: Mario Degas
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floss, einem Fluss gleich, aus Sektor A an uns
vorbei, in das Dunkel außerhalb der Stadt. Sie funkelte matt. Rost bildete sich
an den Kanten, wo das Eisen auf die sie umgebende Erdschicht traf. Die
elektromagnetische Spannung war spürbar, um so näher man dem Rand kam.
     Der
Koloss schwebte ein: Als hochgewachsenes Gebilde, der Weiterführung des Eisens
auf dieser Strecke fuhr er leise zischend vor. Die Akkuladungen entspannten
sich mit dem Stillstand. Es war ein Kurzzug, ein Titan mit drei Waggons, ohne
Fenster, dafür aber mit Displays an der Außenhaut; die noch mehr Propaganda
ausstrahlten. Einer von wenigen Zügen, der noch fuhr, dazu abgerichtet, die
Bewohner Neu New Yorks von einem Sektor in den nächsten zu befördern. Dies galt
für die Oberstadt. Unter uns, in Dantes Hölle, dem Untergrund, war es mit dem
Vorankommen als Dienstleistung nicht so gut bestellt. Dort, wo das Nehmen vor
dem Geben kam, wurden die Züge, wie Relikte der Vergangenheit, zweckentfremdet:
als Dekoration für eine Häuserzeile oder als Schlafstatt für die Ärmsten der
Armen.
     Die
Türen schwangen auf. Der Geruch nach Gummi und Kabelbrand entströmte dem
Inneren. Ein Signal ertönte einmal, dann zweimal – die Türen würden nur wenige
Sekunden offenstehen.
     Sean
wusste, was er tat. An den herausströmenden Massen vorbei quetschte er sich ins
Innere des Zuges. Unübersehbar nicht das erste Mal, dass er das tat. Ich
lauerte auf meine Chance und bugsierte mich, vom Regen durchweicht, mit der
Schulter voran hinein. Kurz darauf schlossen sich die Türen mit einem
überschwänglichen Ruck.
     Sobald
sich die Waggons fast lautlos in Bewegung setzten, wurde die Beleuchtung um die
Hälfte gedimmt. Ich folgte Sean zu einer Sitzreihe. Man musste ihm nicht viel
sagen, er verstand auch so, wusste, was als Nächstes zu tun war.
     Ich
setzte mich neben ihn und sah mich nach allen Seiten um. »Ist schon eine Weile
her, dass ich hiermit gefahren bin. Es engt mich immer wieder ein.« Sean sah
mich wissbegierig an, als würde er wissen wollen, warum ich es jetzt tat.
»Manchmal muss man über seinen Schatten springen«, antwortete ich.
     Der
Koloss nahm spürbar an Tempo auf. Er fuhr nicht zurück ins Herz der Stadt,
sondern geradewegs aus ihr raus. Wir schwebten, nur von moderner Technik und
der unendlich langen Eisenplatte gehalten, in die Leere außerhalb New Neu
Yorks. Unter uns war ein klaffender, nebelverhangener Abgrund. Vor uns, noch in
einiger Entfernung, lag unser Ziel, der letzte Flecken begehbare Natur, Jersey
City, wie es einmal genannt wurde.
     »Du
bist kein großer Redner, wie?«, fragte ich mein Gegenüber. »Interessiert es
dich nicht, wer mein Freund ist!?« Seine Reaktion spiegelte Desinteresse wider.
Ihm war nicht viel daran gelegen, die Konversation aufrecht zu erhalten. Der
Tod seiner Mutter lähmte seine Zunge. Vielleicht war es aber auch einfach seine
Art, mit Fremden umzugehen. Ich wusste selber, dass Trauer an diesem Ort keinen
Platz hatte. Wie schwer musste für ihn, einem höchstens zwölfjährigen Jungen,
der Verlust seiner Mutter wiegen. Ich konnte meine Gedanken dem nicht hingeben,
sie ließen auch mich nicht los. Ich war selbst auf der Suche nach Erlösung;
hoffte sie zu finden, zwischen Bäumen und Blumen, Grasnarben und versiegten
Bächen.
     Die
Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Das gleiche Signal wie bei der Ankunft, Rot,
Gelb, Grün – diesmal durch die Abteile leuchtend – kündigte mit einem leisen
Warnton die Haltestelle an. Im Schneckentempo fuhr der Zug in eine Biegung ein,
als die Türen aufschwangen und kalte Luft hineinblies. So würde er weiter
fahren, bis die Gerade kam und die Fahrt, zurück in die Stadt, weiterging. Ich
packte Sean bei der Hand, spazierte zur Kante der Tür und hastete, den Jungen
im Schlepptau, schnellen Schrittes hinaus. Trotz der vielen Waggons, die jetzt
an uns vorbeirauschten, waren wir beide die Einzigen mit dem Ausstieg Wildnis.
     Der
Zug erhellte die Szenerie ein letztes Mal, bevor er abermals von der Dunkelheit
verschluckt wurde. Ich bemerkte, wie Sean ihm lange nachblickte.
     Hier
fiel es mir auf: Es regnete nicht mehr. Der Boden fühlte sich trocken, aber
dennoch gereinigt an. Der süße Duft nach Pinien und Waldschrott drang in meine
Nase und ließ mich schwer atmen, ohne Vorwarnung nach all dem Smog.
     Ich
fixierte die Bäume vor uns. »Warst du schon jemals so weit von deinem Zuhause
entfernt?«
     »Ich
habe kein Zuhause«, antwortete er, wie aus der
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