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Des Teufels Werk

Titel: Des Teufels Werk
Autoren: Minette Walters
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treiben. – Plötzlich sah ich die Frauen in Sierra Leone vor mir – wie sie da an der Wand kauerten, weil es keine Flucht gab.« Ich schwieg.
    »Sah Ms. Derbyshire es auch so wie Sie?«
    »Ja. Sie sagte, es wäre vielleicht etwas anderes gewesen, wenn ihm die Augen verbunden gewesen wären, aber nachdem sie ihm in die Augen gesehen hatte, konnten wir es nicht mehr tun.« Ich lächelte schief. »Ich glaube, es ist nicht einfach, einen Menschen zu töten. Ich glaube, es ist auch nicht einfach, ein
Tier
zu töten. Ich könnte nicht einmal eine Ratte töten, wenn sie mich so ansähe, wie MacKenzie mich angesehen hat. Ich bringe es ja nicht einmal übers Herz, eine Kellerassel zu töten. In Lilys Salon ist ein ganzes Nest davon, aber ich sauge sie immer nur mit dem Staubsauger auf und werfe den Beutel dann weg …«

    H. L. Mencken hat einmal gesagt: Es ist schwer zu glauben, dass jemand die Wahrheit sagt, wenn man weiß, dass man selbst an seiner Stelle lügen würde. Hätte ich früher gewusst, dass Bagley etwas dagegen hatte, Tiere zu töten, so hätte ich gleich zu Anfang Ratten und Kellerasseln ins Gespräch gebracht. Er hatte extreme Ansichten zu Psychopathen und Sadisten – sie sollten alle aufgeknüpft werden –, aber für meine Unfähigkeit, Ungeziefer den Garaus zu machen, hatte er volles Verständnis. Ich weiß nicht, ob ich die Logik seiner Überlegungen je ganz begriffen habe, aber mein offenkundiges Widerstreben zu töten, und sei es auch das niedrigste Lebewesen, wirkte offenbar überzeugender als alle meine Beteuerungen, MacKenzie nichts angetan zu haben.
    Bei einer schamlosen PR-Aktion, die zu unserer völligen Entlastung beitragen sollte, überredete ich Jess, in seinem Beisein ihre Hunde freizulassen. Genau wie sie vorhergesagt hatte, jagten sie schnurstracks die Wiese hinauf zu Berties Grab und begannen dort oben jammervoll zu heulen. Als Bagley fragte, woher sie wüssten, dass ihr Genosse sich dort befinde, antwortete Jess, sie seien bei der Beerdigung dabei gewesen. Wie Elefanten vergäßen sie nie. Ob er das glaubte, weiß ich nicht, aber er lehnte ihre Einladung, Bertie ein zweites Mal zu exhumieren, dankend ab. Die überlebenden Hunde zeigten keinerlei Neigung, andere Gegenden des Tals aufzusuchen, und mussten an Leinen vom Grab weggezogen werden.
    Danach ließ Bagley uns in Ruhe. Alan amüsierte sich köstlich darüber, als ich ihm sagte, worauf ich dieses plötzliche Versiegen von Bagleys Misstrauen zurückführte, und meinte, es habe eher mit akutem Beweismangel als Bagleys Mitgefühl mit Kellerasseln zu tun. Nichtsdestotrotz finde ich, dass ich mich von meiner besten weiblichen Seite gezeigt habe, als ich den Staubsauger erwähnte.

    In der zweiten Septemberwoche, mit dem Beginn des Altweibersommers nach zwei verregneten Monaten, kamen meine Eltern. Jess fremdelte keine Sekunde, und es dauerte nicht lange, da war mein Vater oben auf dem Hof und half ihr bei der Arbeit. Meine Mutter fürchtete, er könnte sich überanstrengen, aber Jess versicherte uns, er fahre nur Traktor und helfe Harry beim Füttern der Tiere.
    Das Thema MacKenzie war tabu. Keiner von uns hatte Lust, über ihn oder das, was geschehen war, zu reden. Für uns alle war die Sache erledigt, und es hätte überhaupt nichts gebracht, jetzt gruselige Diskussionen darüber zu führen, wer am meisten gelitten hatte. Doch meine Mutter empfing ein paar Tage nach ihrer Ankunft Signale, die mir unbemerkt blieben, und setzte sich mit Peter zu einem langen Gespräch zusammen.
    Ich hatte seit dem Vorfall kaum Kontakt mit ihm gehabt, aber ich nahm an, dass er Jess weiterhin regelmäßig besuchte. Sie hatte seine Anwesenheit bei Berties Exhumierung erwähnt und ihn wegen einiger seiner Aussagen zu Bagley in Schutz genommen. Ich jedoch hatte abgesehen von einem Anruf eines Abends, als er sich nach meinem Befinden erkundigte, nichts von ihm gehört. Ich weiß noch, dass ich das Gespräch abbrach, als er anfing, sich über das, was er getan und nicht getan hatte, mit Selbstvorwürfen zu überhäufen. Kurz darauf schaute Bagley vorbei, und ich dachte nicht mehr weiter an Peter.
    Meine Mutter warf mir das vor. Gerade ich müsste doch verstehen, wie lähmend es sei, sich als Versager zu fühlen. Und für Männer sei es noch schlimmer. Von ihnen werde Mut erwartet, und erkennen zu müssen, dass sie keinen hatten, zerstöre ihr Selbstbewusstsein. Leicht ironisch fragte ich, ob es für Peter besser gewesen wäre, wenn Jess und ich bei der
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