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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Autoren: Simone Neumann
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unvorstellbarer Größe, eine Wunderwelt voller Schatullen, Flaschen, Säckchen, getrockneter Kräuter, Messer, Dolche, bunter Tücher, Hüte, Stiefel und unzähliger anderer Waren. All das war in diesem einfachen Gespann untergebracht und präsentierte sich der staunenden Anna, trotz der großen Vielfalt und dem engen Raum, in einer erstaunlichen Ordnung.
    Aus einem geflochtenen Korb, den Liese aus irgendeinem der vielen Winkel ihres kleinen Reiches hervorgezogen hatte, holte sie den Rest eines trockenen Fladens, ein Stück Käse und sogar etwas Butter.
    »Das ist alles, was ich habe. Bin ja auch nicht grade reich. Musst also keine Festtagstafel erwarten.«
    Gierig nahm Anna die ihr gereichten Speisen entgegen und schlang alles in Windeseile hinunter, sodass sich Liese doch noch einmal gezwungen sah, die Essenstruhe zu öffnen und ihrem Gast eine Köstlichkeit zu reichen, die zu kredenzen ihr geiziges Herz sehr viel Überwindung kostete. Es war ein Stück von einem Schinken, nicht unähnlich dem, der noch bis vor einigen Tagen über der Feuerstelle im Hause des Bauern Schulz gehangen hatte. Anna zögerte kurz, doch anstatt den Herrgott zu fragen, ob sie würdig sei, etwas so Gutes zu sich zu nehmen, stopfte sie sich auch den Schinken Stück für Stück in den Mund, schluckte ihn unzerkaut hinunter und entweihte somit tatsächlich diese Gaumenfreude, die ursprünglich dazu geschaffen war, nicht Gier zu befriedigen, sondern Genuss zu bereiten.
    Als sie schließlich satt war, kehrten die beiden Frauen zum Lagerfeuer zurück und gesellten sich zu der Runde, die mittlerweile zum Würfelspiel übergegangen war. Das heißt, die Männer spielten Würfel, während das Mädchen weiterhin ins Feuer starrte. Anna kam zwischen ebendiesem Mädchen und dem langen, dürren Menschen zu sitzen. sie zog ihre Beine an den Leib, soweit es ging, und nahm, ohne es zu beabsichtigen, ebendie Position ein, in der sie stundenlang in ihrem Misthaufenversteck verharrt hatte.
    Ähnlich dem Mädchen begann auch Anna ins Feuer zu schauen, doch während ihre Nachbarin regelrecht in den Flammen versunken war, blickte Anna eher aus Verlegenheit hinein.
    Plötzlich wandte sich der alte Mergel tatsächlich an sie und begann mit der verborgenen Absicht, einen neuen Anlass für einen weiteren Monolog zu finden, ein Gespräch mit Anna.
    »Wie war noch gleich dein Name?«
    »Anna heiße ich, Anna Pippel.«
    »Kennst du schon viel vom Krieg, Mädchen?«
    »Den Krieg nicht, aber Landsknechte habe ich schon viele gesehen.«
    »Na, hier war ja auch noch nicht viel Krieg, hier in deiner Gegend. Glaub mal, euch geht’s noch gut hier. Hast ja keine Ahnung, was schon alles passiert ist. Woanders, mein ich, nicht hier in Westfalen. Ich weiß, wovon ich spreche, ich war dabei.«
    »Weißt du, Anna, den Mergel gibt es fünfmal, der ist immer und überall, der kann fliegen. Teilt sich mitunter ein Lager mit dem Wallenstein, dem Tilly oder dem Dänenkönig, selbst im Schlafzimmer vom Kaiser ist er schon gewesen. Wie könnte er sonst wissen, was die alle denken und vorhaben?«
    »Ach, Liese, mach dich nur nicht lustig, du weißt selbst, dass es stimmt, was ich sage. Hast ja auch schon viel erlebt, kannst auch eine Menge erzählen.«
    Da musste Liese dem alten Hans beipflichten, und dieser hatte damit ihre spitze Zunge geschickt besänftigt und konnte nun mit seiner Geschichte über den Krieg beginnen, die zu erzählen für ihn ein freudiges Ritual war, dem sich jeder Neuankömmling, ob er wollte oder nicht, unterziehen musste.
    »Ich glaube, Männer, ich höre mit dem Spielen für heute auf. Will unserer Anna doch mal lieber ein bisschen was vom Krieg erzählen. Das arme Ding weiß doch anscheinend nichts darüber.«
    Tatsächlich wusste Anna nicht viel vom Krieg, doch das konnte der Mergel eigentlich nicht ahnen, hatten sie doch bisher kaum miteinander gesprochen. Auch wenn er ein wenig schwatzhaft war, gefiel ihr der Alte. Er hatte gutmütige blaue Augen, und die tiefen Falten um seinen Mund hatten sich in einer Form in sein Gesicht eingegraben, welche dieses ständig munter und fröhlich wirken ließ.
    »Ja, ja. Alles begann damals mit dem Stern«, fing Hans Mergel zu erzählen an. »Im Jahre 1618 unseres gelobten Herrn Jesus Christus, da tauchte er auf und verhieß nichts Gutes. Wusstest du eigentlich, Liese …«, wandte er sich an seine Begleiterin, die fleißig das neue Paar Stiefel putzte, »… Liese, hör mal, wusstest du eigentlich, dass ich damals der Erste
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