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Des Teufels Alternative

Des Teufels Alternative

Titel: Des Teufels Alternative
Autoren: Frederick Forsyth
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im nachhinein wahr, in dem Wissen, was den Autoren zugestoßen war. In den frühen siebziger Jahren las er alles, was er sich beschaffen konnte – die klassischen Werke Taras Schewtschenkos, des Gelehrten und Dichters, und jene aus der kurzen Blütezeit unter Lenin, auf die Unterdrückung und Liquidierung unter Stalin folgten. Aber vor allem las er die Werke der sogenannten »Sechziger«, die nur einige wenige Jahre hatten schreiben können, bevor Breschnew ihnen Arbeitsverbot erteilte, um den von ihnen geforderten Nationalstolz zu unterdrücken. Drake las und trauerte um Osdatschi, Tschornowil, Moros und Dsjuba; und als er die Gedichte und das Geheimtagebuch Pawel Symonenkos las – des mit 28   Jahren an Krebs gestorbenen Idealisten, der für ukrainische Studenten in der UdSSR zu einer Kultfigur geworden war –, weinte er bittere Tränen um ein Land, das er noch nie gesehen hatte.
    Mit der Liebe zur Heimat seines toten Vaters wuchs Drakes Haß gegen die, die für ihn die Unterdrücker der Ukraine waren. Er verschlang die von der Widerstandsbewegung in den Westen geschmuggelten Untergrundschriften und den Ukrainian Herald mit seinen Berichten über Hunderte von Unbekannten, Elenden und Vergessenen, deren Schicksale nicht das weltweite Aufsehen erregten, das die großen Moskauer Prozesse gegen Daniel, Sinjawski, Orlow, Scharanski erzielten. Sein Haß wuchs mit jeder Einzelheit, die er erfuhr, bis die Personifizierung alles Bösen auf der Welt für Andrew Drake kurz KGB hieß.
    Andrew war Realist genug, um den primitiven, blindwütigen Nationalismus der älteren Vertriebenen und ihre säuberliche Trennung zwischen West- und Ostukraine abzulehnen. Ebenso lehnte er ihren tiefverwurzelten Antisemitismus ab und zog es vor, die Schriften Glusmans, eines Zionisten und ukrainischen Nationalisten, einzig als Werk eines Landsmannes zu akzeptieren. Er beobachtete das Verhalten der in England und auf dem Kontinent lebenden ukrainischen Vertriebenen und stellte fest, daß es vier verschiedene Gruppen gab: die Sprachnationalisten, die sich damit begnügten, ihre Muttersprache zu sprechen und zu schreiben; die debattierenden Nationalisten, die endlos redeten, aber nie handelten; die unermüdlichen Parolenschmierer, die ihre Gastgeber irritierten, ohne dem sowjetischen Koloß zu schaden; und die Aktivisten, die vor Staatsbesuchern aus Moskau demonstrierten, von der Special Branch fotografiert und identifiziert wurden und für kurze Zeit Schlagzeilen machten.
    Drake hielt von ihnen allen nichts. Er blieb unauffällig, wohlerzogen und zurückhaltend. Er ging nach Süden, nach London, und wurde dort Angestellter. Es gibt viele Angestellte, die, ohne daß ihre Kollegen etwas davon ahnen, eine geheime Leidenschaft pflegen, die ihre Ersparnisse, ihre Freizeit und ihren Urlaub verschlingt. Drake war so ein Mann. Er versammelte in aller Stille eine Gruppe von Gleichgesinnten um sich; er spürte sie auf, traf sich mit ihnen und schloß Freundschaften, ließ sie einen Treueid schwören und befahl ihnen, Geduld zu haben. Denn Andrej Drach hatte einen Traum, und, wie T. E. Lawrence gesagt hat, er war gefährlich, weil »er mit offenen Augen träumte«. Er träumte davon, eines Tages einen gewaltigen Schlag gegen die Männer im Kreml zu führen, der sie erschüttern sollte, wie zuvor noch nie sie etwas erschüttert hatte. Er wollte die Wälle ihrer Macht durchdringen und sie in ihrer eigenen Festung treffen.
    Sein Traum lebte und war durch die Entdeckung Kaminskis der Wirklichkeit einen Schritt nähergerückt; und so war Drake seiner Sache sicher und zugleich aufgeregt, als sein Flugzeug erneut in Trabzon zur Landung ansetzte.
    Miroslaw Kaminski sah zu Drake hinüber. »Ich weiß nicht, Andrej«, sagte er. »Ich weiß es einfach nicht. Trotz allem, was du für mich getan hast, bin ich mir nicht sicher, ob ich dir soviel Vertrauen schenken darf. Es tut mir leid, aber schließlich mußte ich mein Leben lang vorsichtig sein.«
    »Miroslaw, du könntest mich weitere zwanzig Jahre kennen und würdest dann auch nicht mehr über mich wissen als jetzt. Was ich dir von mir erzählt habe, ist die reine Wahrheit. Du kannst nicht zurück, also laß mich nach Ternopol fahren. Aber ich brauche dort Kontakte. Falls du irgend jemanden kennst, der mir weiterhelfen kann …«
    Kaminski war schließlich einverstanden.
    »Ich kenne zwei Männer«, sagte er zögernd. »Sie sind nicht gefaßt worden, als meine Gruppe ausgehoben wurde. Selbst die anderen haben
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