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Des Lebens Überfluß

Des Lebens Überfluß

Titel: Des Lebens Überfluß
Autoren: Ludwig Tieck
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es nicht lassen, mit Feder und Tinte diese Züge zu malen, welche die Seele bedeuten sollen. O, meine Geliebte, es waren oft Worte in diesen Briefen, bei denen mein Herz, von deiner Geisterhand, von diesem Lufthauch berührt, so gewaltig aus seiner Knospe ging, daß es mir, wie im zu raschen Auseinanderblühen aller Blätter, zu zerspringen schien.
    Sie umarmten sich und es entstand eine fast feierliche Pause. Liebchen, sagte Heinrich dann, welche Bibliothek neben meinem Tagebuch, wenn deine und meine Briefe aus dieser Omarschen Verfolgung noch wären gerettet worden. Er nahm das Tagebuch und las, indem er nach rückwärts das Blatt umschlug.
    Treue! – Diese wundersame Erscheinung, die der Mensch so oft am Hunde bewundern will, wird in der Regel am eignen Menschengeschlecht viel zu wenig beachtet. Es ist unglaublich und kommt doch täglich vor, welchen sonderbaren, oft ganz verwirrten Begriff sich so Viele von den sogenannten Pflichten machen. Wenn ein Dienstbote das Unmögliche tut, so hat er nur seine Pflicht getan, und an dieser Pflicht künsteln die höhern Stände so herum und herab, daß sie diese Pflichten, so viel sie nur können, nach ihrer Bequemlichkeit beugen oder zu ihrem Egoismus erziehen. Wäre die unerbittliche Galeerenarbeit, der eiserne Zwang der Papier- und Aktenverhältnisse nicht, so würden wir vermutlich die seltsamsten Erscheinungen beobachten können. Es ist unleugbar, daß diese Sklavenarbeit der endlosen Schreiberei in unserm Jahrhundert großenteils unnütz, nicht selten sogar schädlich ist. – Aber man denke nur einmal dieses große Rad der Hemmung in dieser egoistischen Zeit, bei dieser sinnlichen Generation plötzlich ausgehoben, – was könnte da entstehen, was sich Alles zerstörend verwirren?
    Pflichtlos sein, ist eigentlich der Zustand, zu welchem die sogenannten Gebildeten in allen Richtungen stürzen wollen; sie nennen es Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freiheit. Sie bedenken nicht, daß, sowie sie sich diesem Ziele nähern wollen, die Pflichten wachsen, die bis dahin der Staat oder die große, unsäglich-komplizierte, ungeheure Maschine der geselligen Verfassung in ihrem Namen, wenn auch oft blindlings, übernahm. Alles schilt die Tyrannei, und Jeder strebt, Tyrann zu werden. Der Reiche will keine Pflichten gegen den Armen, der Gutsbesitzer gegen den Untertan, der Fürst gegen das Volk haben, und Jeder von ihnen zürnt, wenn jene Untergebenen die Pflichten gegen sie verletzen. Darum nennen auch die Niederen diese Forderung eine altertümliche, der Zeit nicht mehr anpassende, und möchten nun mit Redekunst und Sophisterei alle jene Bande ableugnen und vernichten, durch welche die Staaten und die Ausbildung der Menschheit nur möglich sind.
    Aber Treue, echte Treue, – wie so ganz anders ist sie, wie ein viel höheres als ein anerkannter Kontrakt, ein eingegangenes Verhältnis von Verpflichtungen. Und wie schön erscheint diese Treue in alten Dienern und ihrer Aufopferung, wenn sie in ungefälschter Liebe, wie in alten poetischen Zeiten, einzig und allein ihren Herren leben.
    Ich kann es mir freilich als ein sehr großes Glück denken, wenn der Dienstmann nichts Höheres kennt, nichts Edleres denken mag, als seinen Gebieter. Ihm ist aller Zweifel, alle Grübelei, alles Schwanken und Hin- und Hersinnen auf ewig erloschen. Wie Tag und Nacht, Sommer und Winter, wie unabänderliches Naturwalten ist sein Verhältnis; in der Liebe zum Herrn liegt ihm jedes Verständnis.
    Und gegen solche Diener hätte die Herrschaft keine Pflichten? Sie hat sie gegen alle ihre Diener, über den bedingten Lohn hinaus, aber gegen solche schuldet sie weit mehr und ganz etwas Anderes und Höheres, nämlich eine wahre Liebe, eine echte, die dieser unbedingten Hingebung entgegenkommt.
    Und womit sollen wir das je gut machen, erwidern (denn vom Vergelten ist die Rede gar nicht), was unsre alte Christine an uns tut? Sie ist die Amme meiner Frau; wir trafen sie auf der ersten Station, und sie zwang uns beinah mit Gewalt, sie auf unsrer Reise mitzunehmen. Ihr durften wir Alles sagen; denn sie ist die Verschwiegenheit selbst; sie fand sich auch gleich in die Rolle, die sie unterwegs und hier zu spielen hatte. Und wie ist sie uns, vorzüglich meiner Clara, ergeben! – Sie bewohnt unten ein ganz kleines, finsteres Kämmerchen, und nährt sich eigentlich davon, daß sie in etlichen Nachbarhäusern noch gelegentliche Dienste tut. Wir begriffen es nicht, wie sie uns für so Weniges unsere Wäsche unterhielt,
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