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Des Lebens Überfluß

Des Lebens Überfluß

Titel: Des Lebens Überfluß
Autoren: Ludwig Tieck
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rief ein Obsthöker; sie wollen als gottlos und überflüssig alle Treppen abschaffen.
    Nein, nein! schrie eine Frau dazwischen, er soll vom heiligen Sanct Simon abstammen, der Empörer; alles Holz, sagt er, und alles Eigentum soll gemeinschaftlich sein, und die Feuerleiter haben sie schon geholt, um ihn gefangen zu nehmen.
    Es war dem Fremden schwer, in die Tür des Hauses zu gelangen, obgleich ihm Alles Platz machen wollte. Der alte Emmerich trat ihm entgegen und berichtete auf Nachfrage mit vieler Höflichkeit die Lage der Dinge, und wie man noch nicht einig sei, auf welche Weise man des großen Verbrechers habhaft werden könne. Der Fremde schritt jetzt tiefer in den dunklen Hausflur hinein und rief mit lauter Stimme: Wohnt denn hier wirklich ein Herr Brand?
    Ja wohl, sagte Heinrich; wer ist da unten Neues, der nach mir fragt?
    Die Leiter her! sagte der Fremde, daß ich hinaufsteigen kann.
    Das werde ich Jedem unmöglich machen, rief Heinrich; es hat kein Fremder hier oben bei mir etwas zu suchen und keiner soll mich molestieren.
    Wenn ich aber den Chaucer wiederbringe? rief der Fremde, die Ausgabe von Caxton, mit dem beschriebenen Blatt des Herrn Brand?
    Himmel! rief dieser, ich mache Platz, der gute Engel, der Fremde, mag heraufkommen. – Clara! rief er seiner Frau fröhlich, aber mit einer Träne entgegen, unser Sickingen ist wirklich angelangt!
    Der Fremde sprach mit dem Wirt und beruhigte ihn völlig, die Polizei ward entlassen und belohnt, am schwersten aber war es, das aufgeregte Volk zu entfernen; doch als endlich auch dies gelungen war, schleppte Ulrich die große Leiter herbei und der vornehme Unbekannte stieg allein zur Wohnung des Freundes hinauf.
    Lächelnd sah sich der Fremde im kleinen Zimmer um, begrüßte höflich die Frau und stürzte dann dem seltsam bewegten Heinrich in die Arme. Dieser konnte nur das eine Wort: Mein Andreas! hervorbringen. Clara sah nun ein, daß dieser rettende Engel jener Jugendfreund, der vielbesprochene Vandelmeer sei.
    Sie erholten sich von der Freude, von der Überraschung. Das Geschick Heinrich's rührte Andreas tief; dann mußte er über die seltsame Verlegenheit und die Aushülfe lachen, dann bewunderte er wieder die Schönheit Clara's, und beide Freunde konnten es nicht müde werden, die Erinnerung jugendlicher Szenen wiederzubeleben und in diesen Gefühlen und Rührungen zu schwelgen.
    Aber nun laß uns auch vernünftig sprechen, sagte Andreas. Dein Kapital, welches Du mir damals bei meiner Abreise anvertrautest, hat in Indien so gewuchert, daß Du Dich jetzt einen reichen Mann nennen kannst; Du kannst also jetzt unabhängig leben, wie und wo Du willst. In der Freude, Dich bald wiederzusehen, stieg ich in London ans Land, weil ich dort einige Geldgeschäfte zu berichtigen hatte. Ich verfüge mich wieder zu meinem Bücherantiquar, um für Deine Liebhaberei an Altertümern ein artiges Geschenk auszusuchen. Sieh da, sagte ich zu mir selber, da hat ja Jemand den Chaucer in demselben eigensinnigen Geschmack binden lassen, wie ich die Art damals für Dich ersann. Ich nehme das Buch in die Hand und erschrecke, denn es ist das Deinige. Nun wußte ich schon genug und zu viel von Dir; denn nur Not hatte Dich bewegen können, es wegzugeben, wenn es Dir nicht gestohlen war. Zugleich fand ich, und zu unser Beider Glück, ein Blatt von Deiner Hand vorn beschrieben, in welchem Du Dich unglücklich und elend nanntest, mit dem Namen Brand unterzeichnetest und Stadt, Gasse und Wohnung anzeigtest. Wie hätte ich, bei Deinem veränderten Namen, bei Deiner Verdunklung, Dich jemals auffinden können, wenn dieses liebe, teure Buch Dich mir nicht verraten hätte. So empfange es denn zurück zum zweiten Male und halte es in Ehren, denn dies Buch ist wunderbarer Weise die Treppe, die uns wieder zu einander geführt hat. – Ich kürze in London meinen Aufenthalt ab, ich eile hierher – und erfahre vom Gesandten, der seit acht Wochen schon von seinem Monarchen hierher geschickt ist, daß Du seine Tochter entführt hast.
    Mein Vater hier? rief Clara erblassend.
    Ja, meine gnädige Frau, fuhr Vandelmeer fort, aber erschrecken Sie nicht; noch weiß er es nicht, daß Sie sich in dieser Stadt befinden. – Der alte Mann bereut jetzt seine Härte, er klagt sich selber an und ist untröstlich, daß er jede Spur von seiner Tochter verloren hat. Längst hat er ihr verziehen und mit Rührung erzählte er mir, daß Du völlig verschollen seist, daß er trotz aller eifrigen Nachforschung nirgend eine
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