Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Wasserstrom aus den Kanälen war viel zu stark, um von außen hineinzuklettern.
    Geist lächelte. Inmitten ihrer bemoosten Züge wirkten ihre Zähne unnatürlich weiß. »Schau«, sagte sie und sprang zwischen den Ranken zur anderen Seite der Grotte. Als sie mit beiden Händen einen Teil des nassglänzenden Dickichts beiseiteschob, kam ein schmaler Riss im Felsen zum Vorschein. Dahinter führten grob behauene Stufen nach oben.
    »Was hältst du davon?«, fragte sie triumphierend und trat durch die Öffnung.
    Löwenzahn schaute sich ein letztes Mal zur großen Grotte um, sah nichts außer Stein und tobender Strömung, dann folgte er Geist. Die Ranken, die ihn streiften, fühlten sich an wie die feuchten Finger einer Wasserleiche. Geist lief voraus, die engen Stufen hinauf. Der Treppenschacht umschloss sie mit kaltem, ödem Fels. Löwenzahn hätte nie geglaubt, dass er dafür einmal dankbar sein würde.

KAPITEL 2
    Trommeln. Trommeln in der Tiefe!
    Alberich schrak auf. Er lehnte an der Innenseite des Portals, und die Kälte des eisernen Torflügels biss wie Ameisengift in seinen Rücken. Einen Augenblick lang war er verwirrt, wusste nicht, wo er sich befand. Dann dämmerte es ihm: Er war während seiner Nachtwache am Tor eingeschlafen. Und als wäre das nicht Schande genug, hatte er dabei noch seine Waffe fallen gelassen. Hastig hob er die Geißel mit den sieben goldenen Stachelkugeln vom Boden auf und sah sich um. Gut, niemand hatte bemerkt, dass er eingenickt war. Die anderen lagen in ihren Quartieren, weiter unten im Berg.
    Sein nächster Blick ging durch die Sichtluke nach draußen, über den winzigen Vorplatz hinweg zum dunklen Tannenhain. Der Mond schien hell vom Nachthimmel herab und überzog die Wipfel mit Silbertau. Keine Menschenseele war zu sehen, nur ein Uhu gurrte leise im Geäst.
    Trommeln!
    Die Erinnerung kehrte auf einen Schlag zurück. Er hatte Trommeln gehört!
    Ach was, er musste geträumt haben. So sehr er jetzt auch horchte, er hörte doch nur seinen eigenen Atem und das Blut, das in seinen Ohren rauschte.
    Er hätte es niemals zugegeben, nicht unter der schrecklichsten Folter, aber er war froh, dass er seine drei Gefährten hatte, mit denen er sich die Wacht über den Hohlen Berg teilen konnte. Nicht, dass er ihnen je offen dafür gedankt hätte – sie wären nur übermütig geworden, und überhaupt, lieber hätte er sich eigenhändig die Zunge herausgeschnitten –, doch ohne sie wäre der Nibelungenhort längst in die Hände von Dieben und Raubrittern gefallen. All die Angriffe, die sie in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam abgewehrt hatten, all die Kämpfe, all das Blutvergießen – er allein wäre dem nicht gewachsen gewesen.
    Dass er neuerdings während der Nachtwache am Tor einnickte, war nur ein weiterer Hinweis darauf, dass seine Kräfte nachließen. Er war nicht mehr der junge Zwerg, der einst mit Hilfe der Tarnkappe den Berg vor Eindringlingen bewahrt hatte. Schon seine schmähliche Niederlage gegen den Xantener hatte angekündigt, dass auch der größte aller Zwergenkrieger älter wurde. Als Nächstes würden die Gelenke knirschen, der Rücken schmerzen, die Hände zittern. Sogar sein Bart würde schütter werden.
    Der Traum hatte eine Erinnerung in ihm geweckt. An etwas, das ihm jemand erzählt hatte, vor vielen, vielen Jahren. Etwas aus seiner Kindheit, über Angriffe aus dem Inneren der Erde, über einen Feind, der so grausam war, dass die Zwerge ihn nur mit Glück und dem Beistand der Götter hatten zurückschlagen können. Das war noch zu Zeiten des alten Thorhâl gewesen, des letzten Königs unter dem Berg. Thorhâl der Schwächling. Thorhâl der Verräter, wie die Nibelungen ihn genannt hatten. Und Alberich hatte ihnen beigepflichtet.
    Er betrachtete die Goldgeißel in seiner Hand, die sieben glänzenden Stachelkugeln, lauschte auf das zarte Klirren, wenn sie aneinanderschlugen. Er hatte schon mit dieser Waffe gekämpft, als seine drei Gefährten noch nicht geboren waren. Alberich war um ein Vielfaches älter als sie, und doch hatte er in seinem langen Leben nichts gesehen als das Innere des Hohlen Berges und den Weg über die Landbrücke zu Obbos Gasthof. Erst seine Reise zur Drachenhöhle hatte ihn für eine Weile von hier fortgeführt, und seine Erinnerung daran war wenig erquicklich. Die Ereignisse dort hatten ihn beinahe das Leben gekostet.
    Vielleicht war ja alles vorherbestimmt. Vielleicht hatten die Götter nicht gewollt, dass er den Hohlen Berg verließ.
    Nun, er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher