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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Autoren: Ralf Schulte
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Wärmflasche?“
Maximilian verdiente keine Wärmflasche, er konnte froh sein, hier überhaupt zu wohnen. Trotzdem schaffte sie es nicht, ihm diese Bitte abzuschlagen. Er schaute sie an. Sie durfte nicht hinsehen, wie der Blick der Meduse, der sie versteinerte und gefügig machte.
„Und bitte nicht so heiß!“ rief er ihr nach, als sie in die Küche ging und Wasser aufsetzte.
Drei Minuten später kam sie mit einer gefüllten Wärmflasche zurück, es war sogar ihre eigene, die in Schildkröten-Form, ein Geschenk ihres Vaters. Auf dem Panzer stand: „I’m hot, Baby!“
Clara ging zurück in ihr Zimmer. Sie war der Boss, und das zeigte sie ihm jetzt. Zuerst wollte sie die Tür zuschlagen, dann stoppte sie im letzten Moment – und schloss sie leise hinter sich.
„Nein, du bekommst nichts davon!“, flüsterte Maximilian seinem Hund zu. „Du hättest selber um eine bitten können.“
Dann wickelte er sich wie eine Frühlingsrolle in die Decke und streckte sich längs auf die Couch. Nach einer Weile sprang der Dackel ebenfalls empor, suchte sich ein warmes Plätzchen und schloss die Augen.
Nur Clara lag wach. War sie zu grob zu ihm? Maximilian war ein alter Mann, da musste man Rücksicht nehmen. Das hatte sie in einer Sonder-Sendung gesehen: „Wie gehe ich mit älteren Mitmenschen um?“ – ein sehr aufschlussreicher Bericht. Man erfuhr, dass Rentner sich meistens den ganzen Tag langweilten, deswegen mussten sie beschäftigt werden. Besser war es auch, wenn jemand auf sie aufpasste, weil sie vieles falsch machten und leicht ein Haus anzündeten. Sie benahmen sich schlimmer als Kleinkinder, vom Charakter her waren sie ähnlich, nur um einiges größer, aber genauso widerspenstig.
Was machte Maximilian wohl jetzt? Es war so ruhig. Es wäre ihr sogar lieber gewesen, Geräusche von ihm zu hören, so hätte sie die Lage einschätzen können. Einfach zu still.
Schließlich stand sie auf. Sie musste zur Nachtschicht, auch noch die Zähne putzen, eine gute Gelegenheit, nach Maximilian zu sehen, vielleicht holte sie sich noch ein Stück Dostojewski-Schokolade. So nannte sie ihr Geheimversteck im Bücherregal, ein ausgehöhltes Exemplar von „Schuld und Sühne“, darin versteckte sie hauptsächlich Schokolade.
Mit Mantel und Tasche öffnete sie ihre Tür und schlich ins Wohnzimmer. Der Raum wurde nur durch das spärliche Licht des Mondes erhellt, der zwischen zwei busenförmigen Wolken hindurch lugte. Maximilian schlief. Es schien alles in Ordnung, kein Grund, sich aufzuregen. Er schnarchte ein wenig, aber nur leise. Nichts schien kaputt, der Fernseher war ausgeschaltet und selbst das Licht hatte er überall ausgemacht. So sollte es sein. Dann ging sie ins Bad. Sie wollte gerade nach ihrem Zahnputzglas greifen, als sie darin Maximilians Lächeln erkannte. Er hatte ihr bestes Glas dazu benutzt, seine Zähne darin aufzubewahren. Sofort schloss sie die Augen, das wollte sie nicht sehen. Sie stellte ein paar Spraydosen und andere Gegenstände davor. Wie konnte er es nur wagen, ihr Zahnputzglas für seine Zähne zu benutzen? Vor allem das Glas mit den lustigen drei Bären auf der Vorderseite, ein Geschenk ihres Freundes. Doch dann kam der nächste Schock. Sie wollte sich gerade auf die Toilette setzen, als sie die Unmengen an Toilettenpapier entdeckte, die in der Schüssel umhertrieben. Ein übler Geruch folgte dem Chaos. Unter dem durchgeweichten Papier entdeckte sie Dinge, die sie nicht sehen wollte. Sie drückte die Spülung. Ein erleichterndes Flush setzte das Wasser in Gang. Zuerst trieb die Mischung aus brauner Brühe und Papier nach oben, näherte sich immer mehr dem Toilettenrand. Noch drei Zentimeter. Hoffentlich lief die Toilette nicht über. Zwei. Jetzt wurde es eng. Einer. Warum floss es nicht ab? Ein Halber. Aus den Untiefen der Kanalisation erklang ein Gurgeln und in wenigen Sekunden saugte die Spülung alles ab.
Zuerst Erleichterung, dann Wut. Warum machte Maximilian so etwas? Konnte er nicht wie jeder normale Mensch das Bad benutzten? Sie lief ins Wohnzimmer. Ganz gleich, ob er nun schlief und vielleicht die schönsten Träume seines Lebens genoss, sie musste ihm die Meinung sagen.
Maximilian lag ausgestreckt auf der Couch, die Decke reichte bis kurz unter das Kinn, die Füße schauten unten heraus, die Socken voller Löcher; der Mund stand offen, dennoch ertönte kein Laut. In seiner Achselhöhle lag der Dackel, eingerollt wie eine Schnecke, er war der einzige der beiden, der schnarchte – ein leises Brummen,
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