Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zug War Pünktlich

Der Zug War Pünktlich

Titel: Der Zug War Pünktlich
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
klappert der Stahlhelm, und als er jetzt den Stahlhelm sieht, fällt ihm ein, daß er sein Gewehr ver- gessen hat. Mein Gewehr, denkt er, steht in Pauls Garde- robe hinter dem Kleppermantel. Er lächelt. »So ist’s recht, Kumpel«, sagt der Blonde, »vergiß deinen Kummer und mach ein Spielchen mit uns.«
    Die beiden haben es sich gemütlich gemacht. Sie sitzen vor einer Tür, aber die Tür ist verrammelt, der Griff fest mit Draht umwickelt, und Gepäckstücke sind davor gesta- pelt. Der Unrasierte nimmt eine Zange aus der Tasche, er hat einen richtigen blauen Kittel an, er nimmt die Zange, zieht irgendwo unter einem Gepäckstück eine Drahtrolle
    hervor und beginnt neuen Draht noch fester um den Griff zu wickeln.
    »So ist’s recht, Kumpel«, sagt der Blonde, »sollen sie uns am Arsch lecken bis Przemysl. Du fährst doch bis Przemysl? Man sieht es«, sagt er, als Andreas nickt.
    Andreas merkt bald, daß sie betrunken sind; der Unra- sierte hat eine ganze Batterie Flaschen in seinem Karton, er läßt die Pullen rundgehen. Sie spielen erst Siebzehn- und-Vier. Der Zug rattert, und es wird immer heller, und sie halten an Bahnhöfen mit sonoren Stimmen und ohne sonore Stimmen. Es wird voll und wieder leer, wieder voll und wieder leer, und immer noch sitzen die drei in der Ek- ke und spielen.
    Manchmal an einer Station rappelt einer wild draußen an der verschlossenen Tür, flucht jemand, aber sie lachen nur und spielen weiter und werfen die leeren Flaschen zum Fenster hinaus. Andreas denkt gar nicht ans Spiel, sie sind so wunderbar einfach, diese Glücksspiele, daß man gar nicht zu denken braucht, man kann an etwas anderes den- ken …
    Paul ist jetzt aufgestanden, wenn er überhaupt geschla- fen hat. Vielleicht hat es auch noch einmal Alarm gege- ben, und er hat gar nicht geschlafen. Wenn er überhaupt geschlafen hat, dann nur ein paar Stunden. Um vier war er zu Hause. Jetzt ist es bald zehn. Na, bis acht hat er ge- schlafen, dann ist er aufgestanden, hat sich gewaschen und hat die Messe gelesen, hat für mich gebetet. Er hat darum gebetet, daß ich mich freuen soll, weil ich doch die menschliche Freude geleugnet habe.
    »Passe!« sagt er. Das ist herrlich, man sagt einfach
    »Passe!« und hat Zeit nachzudenken …
    Dann ist er nach Hause gegangen und hat die Kippen in
    der Pfeife geraucht, hat ein wenig gegessen, Flie- gerangriffsbutterbrote, und ist losgegangen. Irgendwohin. Vielleicht zu einem Mädchen, das ein uneheliches Kind von einem Soldaten erwartet, vielleicht zu einer Mutter oder vielleicht zum Schwarzmarkt, sich ein paar Zigaret- ten kaufen.
    »Flush«, sagt er.
    Er hat wieder gewonnen. Das Geld in seiner Tasche ist ein ganzer Packen geworden.
    »Du hast verdammt Schwein, Kumpel«, sagt der Unra- sierte.
    »Trinkt, Kollegen!« Er läßt wieder die Flasche rundge- hen, er schwitzt, und sein Gesicht ist unter der Maske rau- her Jovialität sehr traurig und nachdenklich. Er mischt … es ist gut, denkt Andreas, daß ich nicht zu mischen brau- che. Eine Minute brauche ich an nichts, an gar nichts an- deres zu denken als an Paul, der nun müde und blaß durch die Trümmer spaziert und immer betet. Ich habe ihn ange- schnauzt, man soll keinen Menschen anschnauzen, nicht einmal einen Unteroffizier …
    »Drilling«, sagt er und »Pärchen«. Er hat wieder gewon- nen.
    Die anderen lachen, es geht ihnen nicht ums Geld, sie wollen ja nur die Zeit totschlagen. Welch ein mühsames, schreckliches Geschäft, die Zeit totzuschlagen, immer wieder diesen Sekundenzeiger, der unsichtbar hinter dem Horizont herumrast, immer wieder ihn mit einem schwe- ren dunklen Sack zuwerfen und wissen müssen, daß er doch weiterläuft, unerbittlich weiter …
    »Nordhausen«, sagt eine sonore Stimme, »hier ist Nord- hausen.« Sie sagt das, während er mischt. »Fronturlauber- zug nach Przemysl über …«, und dann sagt sie: »Bitte
    einsteigen und Türen schließen.« So normal ist das alles. Er gibt langsam die Karten aus. Es ist bald schon elf Uhr. Immer noch Schnaps, der Schnaps ist gut. Er sagt dem Un- rasierten ein paar anerkennende Worte über den Schnaps. Der Zug ist wieder voll geworden; sie sitzen jetzt sehr eng, und viele blicken ihnen zu. Es ist ungemütlich geworden, und auch das Geschwätz hört man, ohne zu wollen.
    »Passe«, sagt er. Der Blonde und der Unrasierte balgen sich gutmütig um den Pott. Sie wissen, daß sie beide bluf- fen, aber sie lachen beide, es geht darum, wer am besten blufft.
    »Praktisch«, sagt eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher