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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml
Autoren: Vladimir Sorokin
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anlangte.
    »Ein weißes Rundes und ein schwarzes Viertel, bitte. Und
     eine Schachtel Papirossy.«
    Der Kaufmann kniff die glasigen Äuglein zusammen.
    »Nanu, Libellchen? Das hast du doch vorhin erst geholt?
     Hat’s den Deinen nicht zugelangt? Alles aufgegessen und aufgeraucht?«
    »Ach nein, Paramon Kusmitsch, ich hab’s Amonja, dem
     Gerechten, gespendet.«
    Choprow strich sich den roten Bart.
    »Oha. Das ist ja allerhand, Mädel. Eine gottgefällige
     Tat!«
    Und nach kurzem Zögern versenkte er die Hand in der
     Schachtel mit den Fruchtdrops, reichte Marfuscha ein paar über den Ladentisch.
    »Da hast du!«
    »Ergebensten Dank.«
    Marfuscha steckte die Bonbons ein, ergriff das Brot und
     die Papirossy – und ab nach Hause. Im Gehen schob sie sich einen Drops in den Mund
     und lutschte. Hurtig bog sie ab von der Malaja Bronnaja … Da hörte sie aus der
     Parterrewohnung im Eckhaus durch die offene Fensterklappe ein großes Wehklagen.
    »Au, ich tu’s nicht mehr! Ich tu’s nie wieder! Au-au!«
    Die Rute schwirrte und klatschte vernehmlich. Marfuscha
     verhielt den Schritt, blieb stehen.
    »Au! Ich tu’s doch nicht mehr! Auaah!«
    Ein Knabe ward bestraft. Die Rute pfiff und patschte auf
     den nackten Hintern. Bestimmt war es der Vater, der da züchtigte. Was Marfuschas
     Vater nie tat, höchstens die Mama. Und das auch nur selten, zum Glück. Das letzte
     Mal geschehen kurz vor Weihnachten, als durch Marfuschas Schusseligkeit zwei Linien
     kostbares Koks flöten gingen. Mama und Papa hatten sich nach einem schweren
     Arbeitstag in der Küche niedergelassen und drei Linien Schnee gezogen, Marfuscha
     wollte gerade den Müll rausbringen und sperrte die Tür weit auf. Dummerweise war die
     Lüftungsklappe in der Küche offen. Ein Luftzug aus dem Treppenhaus, wo die
     Fensterscheibe eingeschlagen war – und der ganze schöne Schnee verteilte sich als
     Staub in die Zimmerecken. Vater und Großvater brüllten wie aus einem Halse.
     Großmutter zwackte sie schmerzhaft in den Arm. Mama aber, ohne ein Wort zu sagen,
     legte Marfuscha quer über das Doppelbett und bearbeitete ihren nackten Po mit dem
     Sprungseil. Marfuscha heulte, während Papa und Opa in der Küche damit beschäftigt
     waren, den weißen Staub mit feuchtem Finger aus den Ecken zu klauben …
    Marfuscha betrat den Hauseingang, da lehnten drei
     Habenichtse an der Heizung und soffen. Sie hatten eine Zeitung (die Auferstehung ) ausgebreitet, auf der lag, was
     sie den Morgen über zusammengetragen hatten. Nun kauten sie und pichelten eine
     Flasche Schwarzgebrannten. Es waren aber Fremde, keine von hier, wohl nicht einmal
     Moskauer. Ein Alter, grau wie eine Steppenweihe; ein Jüngerer, schwarz gelockt und
     kräftig, aber ohne Beine; dazu noch ein Halbstarker. Den Schnaps hatten sie
     anscheinend bei den Chinesen aufder Puschkinskaja gekauft, das sah
     man an der weichen Flasche.
    »Guten Tag, mein Täubchen, lang sollst du leben«, sagte
     der Alte freundlich lächelnd.
    »Wünsche Gesundheit!«, brummelte Marfuscha und beeilte
     sich vorbeizukommen.
    Sie war schon auf der Treppe, als ihr einfiel, dass sie
     dem Hausmeister Meldung machen musste. Es gab ja doch solche und solche Bettler. In
     Nummer fünfzehn hatten sie zum Fest ein paar maskierte Sternsinger eingelassen, die
     dann in drei Wohnungen mit Gaspistolen umgingen und drei Säcke Krimskrams
     einheimsten. Besserenfalls würden die hier ins Treppenhaus kacken, schlimmerenfalls
     etwas klauen.
    Also klingelte Marfuscha beim Hausmeister im zweiten
     Stock. Seine Frau machte auf mit Lockenwickeln auf dem Kopf und einer Papirossa
     zwischen den Zähnen.
    »Was willst du?«
    »Unten sind irgendwelche Habenichtse und saufen«, sagte
     Marfuscha schnell und war auch schon die Treppe hinaufgeflitzt. Auf ihrer Etage
     angekommen, steckte sie den Kopf durch das kaputte Fenster, um zu sehen, was nun
     passierte. Und sie musste nicht lange warten, da ward es unten laut. Eine Tür
     knallte, Gebrüll:
    »Autsch! Gottverdammich!«
    Der alte Mann stolperte, sich das Hinterteil haltend, aus
     der Haustür, ihm nach kam der Halbstarke gesprungen, und der Krüppel auf seinen
     Bügeleisen scharuckelte hinterdrein – verfolgt von Hausmeister Andrejitsch mit
     seinem elektrischen Knüppel. Damit zielte er und schoss dem Krüppel einen blauen
     Blitz ins Kreuz. Der Krüppel jaulte auf und fluchte gemein:
    »Fick deine Fehlgeburt von Mutter!«
    »Pass auf, dass ich dir nicht noch einen Roten
    
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