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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel
Autoren: Lynn Carver
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Wissen, es nicht verantworten zu können, wenn wegen ihr ein Unschuldiger getötet wurde.
    »Lasst das, Skale! Ihn zu töten, hilft uns nicht. Vertut nicht Eure wertvolle Zeit«, forderte der Mann mit der Kapuze. »Sucht auf der anderen Waldseite nach der Flüchtenden. Sie entwischt uns noch durch Euer Geplänkel.«
    Skale schnaubte. »Wir finden das Mädchen. Und wenn du uns belogen hast, Schweinehirte, kommen wir zurück und …«
    Einer der Männer schnalzte, dann entfernten sich die Ritter.
    Lange Zeit blieb Juliane liegen, lauschte dem Grunzen der Schweine, die sich völlig unbeeindruckt im Schlamm suhlten. Als sie es endlich wagte, den Kopf zu heben, erhaschte sie einen Blick auf einen jungen Mann mit hängenden Schultern. Ranon.
    »Du kannst herauskommen, sie sind weg.«
    Juliane wagte noch immer kaum , zu atmen. Sie verharrte, bis ein Schatten über ihr auftauchte.
    »Na, komm schon. Ich tu dir nichts zuleide.«
    Sie blickte in das Gesicht eines jungen Mannes mit strahlend blauen Augen, die sie interessiert musterten. Ranons Haar war kurz und blond, und es schien ihn nicht zu kümmern, dass es in alle Richtungen von seinem Kopf abstand. Sie kannte Jungs, die verbrachten Stunden vor dem Spiegel, um diesen Chaos-Look hinzubekommen. Ranon schien sich nicht mal bewusst, dass er in dieser Hinsicht ziemlich up to date war. Er lächelte sie freundlich an.
    »Hab keine Angst, ich werde dir helfen.«
    Juliane fasste nach seiner Hand, die er ihr anbot, und ließ sich aufhelfen. Ihre Kleider waren durchweicht und sie stank entsetzlich. Ranon rümpfte die Nase und rückte etwas von ihr ab.
    Von den Soldaten war nichts zu sehen und so wandte sie sich dem Schweinehirten zu. Nicht schlecht, entschied Juliane nach einer weiteren Musterung. Ranon schien einige Jahre älter als sie zu sein, obwohl er abgeklärter wirkte. Vielleicht war er zwanzig? Er war einen Kopf größer, sein Körper war schlank und unter dem grauen Hemd konnte sie die Andeutung von Muskeln erahnen, die von schwerer Arbeit zeugten. In Anbetracht der Zeit, in der er zu leben schien, konnte er sich seine Figur wohl kaum im Fitnessstudio zugelegt haben.
    »Was wollten die Soldaten von dir?«
    Juliane zuckte mit den Schultern. Das Letzte, was sie wollte, war, einem Fremden von dem Zauberspiegel zu erzählen. Auch wenn dieser ihr gerade das Leben gerettet hatte und obendrein unverschämt gut aussah. »Vielen Dank für deine Hilfe. Besser, ich verschwinde sofort wieder, bevor du wegen mir noch mal Ärger bekommst.«
    »Wohin willst du?«, fragte Ranon. Er rieb sich selbstvergessen über den Nacken. Beim Anblick seiner rot geschwollenen Wange bekam sie ein schlechtes Gewissen. Das hatte sie nicht gewollt.
    »Weiß nicht«, erwiderte sie.
    Falls sich Ranon über sie wunderte, ließ er sich zumindest nichts anmerken. Was sollte sie hier nur? Der Spiegel hatte gesagt, sie würde gebraucht werden. Doch im Moment war eher sie es, die Hilfe brauchte. Nicht nur, dass ein Fremder für sie lügen musste, um sie vor wild gewordenen Soldaten zu retten, benötigte sie nun auch noch frische Kleider und etwas zu essen, wollte sie nicht einen grausamen Hungertod sterben. Anweisungen vom Spiegel wären auch nicht schlecht.
    »Komm mit mir«, bot Ranon an, als hätte er ihren Gedanken gelauscht. »Ich bin Knecht auf einem Bauernhof nicht weit von hier. Dort kannst du eine Weile bleiben, wenn du willst.«
    Die Vorstellung, eine Nacht in einem Bett zu verbringen, war überaus reizvoll. »Und die Soldaten?«, erkundigte sie sich misstrauisch.
    »Dort werden sie ganz sicher nicht nach dir suchen. Du hast mein Wort.« Ranons Sprache wirkte altertümlich. Erst jetzt fiel ihr auf, dass alle, die sie bisher reden gehört hatte, einen seltsamen Akzent besaßen. Bedeutete das nun, dass der Spiegel sie in eine andere Zeit oder gar in eine unbekannte Welt versetzt hatte? In Anbetracht ihrer Anreise erschien ihr beides möglich.
    »Na dann. Okay«, meinte Juliane und fühlte Erleichterung, nicht mehr in den Wald zurückkehren zu müssen. Als Ranon die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Ich komme mit.«
    Er lächelte und pfiff nach den Schweinen, die folgsam hinter ihm hertrotteten.
    Die Sonne brannte vom Himmel. Der langsam trocknende Dreck begann auf ihrer Haut zu jucken und die Kleider versteiften sich.
    Juliane zog heimlich Grimassen, damit der trockene Schlamm von ihrem Gesicht abbröckelte. Als sie zu Ranon blickte, merkte sie, dass er sich ein Grinsen verbiss. Doch da er nichts sagte,
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