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Der Wunschtraummann

Der Wunschtraummann

Titel: Der Wunschtraummann
Autoren: Alexandra Potter
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jemanden gefunden, der seine Liebe zum Pokerspiel teilt, und sie hat in meinem Opa jemanden gefunden, der endlich wieder mit ihr tanzt. Am Wochenende gibt es im Hemmingway House Tanztees, und die beiden sind immer als Erste auf der Tanzfläche und schweben im besten Anzug und dem feinsten Kleid über das Parkett des Gemeinschaftsraums.
    Was seine Gesundheit angeht, konnte Cécilie ihn endlich dazu überreden, zum Arzt zu gehen, und wie befürchtet wurde Alzheimer im Anfangsstadium diagnostiziert. Die gute Nachricht – wenn man es denn so nennen will bei dieser tückischen Krankheit – ist, dass man nicht weiß, wie schnell oder langsam sie fortschreiten wird. Bisher geht es ihm blendend; Cécilie hilft seinem Gedächtnis auf die Sprünge, und wie sie immer so schön mit ihrem entzückenden französischen Akzent sagt: »Jeden Tag machen wir neue Erinnerungen.«
    »Auld Long Syne« läuft im Radio und reißt mich aus meinen Gedanken. Bis heute habe ich dieses Lied nie verstanden, die Worte ergeben für mich keinen richtigen Sinn, aber ich glaube, es geht darum, dass man alte Freunde nicht vergessen soll. Und alte Exfreunde, denke ich, während ich dem Lied lausche und an die Rundmail denke, die ich von Seb bekommen habe, in der er allen fröhliche Weihnachten wünscht. Genau wie letztes Jahr. Nur hat es mir dieses Jahr überhaupt nichts ausgemacht, ich habe nur gelächelt und ihm zurückgemailt: »Dir auch.«
    Im letzten Jahr sind wirklich so viele Dinge passiert, zumindest soweit ich mich erinnern kann. Ganz sicher bin ich mir nicht, denn ich habe vor einiger Zeit mein altes Tagebuch verloren. Keine Ahnung, wohin es verschwunden ist, und ich muss gestehen, ich habe ein Gedächtnis wie Schweizer Käse, aber es ist ungefähr zu der Zeit verschwunden, als Fiona ausgezogen ist, genau wie die Diskette. Vielleicht sind sie im Müll gelandet, wer weiß?
    Ich weiß so vieles nicht. Wie zum Beispiel, ob das alles wirklich passiert ist. Habe ich mir wirklich gewünscht, ich hätte meinen Freund nie kennengelernt, und damit unsere Beziehung ausradiert? Klingt verrückt. Es war verrückt. Wenn ich jetzt so zurückblicke, kann ich kaum glauben, dass es wirklich passiert ist, und manchmal, kurz vor dem Einschlafen, glaube ich, es ist alles gar nicht wahr – dass ich es vielleicht bloß geträumt habe und womöglich die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie ein wenig verwischt wurde.
    Dabei weiß ich ganz genau, dass das nicht stimmt. Ich brauche kein Tagebuch, um mir selbst zu beweisen, was ich da erlebt habe. Wie durch Zauberei habe ich eine zweite Chance für die Liebe bekommen und dabei eins gelernt: mich selbst zu lieben. Leider eine Affenschande, dass ich es zu spät kapiert und die Sache mit Fergus vermasselt habe.
    Es klingelt an der Tür, und ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen. Ah, das sind sicher die extrakäsige Käsepizza und das Knoblauchbrot, die ich bestellt habe. Ein Hoch auf Marios Pizzaservice!
    »Ich komme …«, rufe ich, werfe Flea von meinem Schoß, der mürrisch aufmaunzt, und laufe in den Flur. »Moment, ich suche nur schnell mein Portemonnaie …« Rasch schnappe ich mir meine Tasche und wühle mit einer Hand darin herum, während ich mit der anderen nach der Klinke greife.
    Ich reiße die Tür auf, die Hand noch in der Tasche. Nächstes Mal nehme ich einen helleren Seidenstoff als Futter, das marineblaue Paisleymuster ist einfach zu dunkel.
    »Ah, da ist es!« Ich schaue auf und winke siegesgewiss mit meinem Portemonnaie.
    In der Tür steht eine große, schlanke Gestalt. Mein Blick fällt auf die abgeschabten Stiefel, dann die langen Beine und den dunklen Wildledermantel. Mir zieht sich die Brust zusammen. Irgendwo tief in meinem Inneren spüre ich ein heftiges Pochen, als mein Blick nach oben gleitet. Widerspenstige schwarze Haare fallen ihm ins Gesicht und in die Augen. Sie sind viel länger, als ich sie in Erinnerung hatte.
    »Fergus«, stammele ich schließlich. »Was machst du denn hier?«
    Plötzlich bin ich geradezu absurd nervös. Und komme mir total bescheuert vor. Wessen bescheuerte Idee war es bitte, einen Pyjama anzuziehen?
    Meine Gedanken überschlagen sich. Ich fasse es nicht, dass er hier ist. Hier vor mir steht. Nach dieser langen Zeit. Ich will ihm so viel sagen.
    »Woher weißt du denn, wo ich wohne?« Aber mir fallen offensichtlich nur bescheuerte Fragen ein.
    »Ich war mal Kurier, es war mein Job, Adressen ausfindig zu machen …«, setzt er an und unterbricht sich dann.
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