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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon
Autoren: Laura Joh Rowland
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bereichert hatte. Eines Tages hätte ihm ohnehin alles gehört. »Yanagisawa brauchte nur noch die Einwilligung Nobukos zu dieser Ehe, denn sie kann über sämtliche Angelegenheiten bestimmen, die ihre Stieftochter Tsuruhime betreffen.«
    »Aber dann hat die Frau des Shōgun Nein zu Yanagisawa gesagt«, warf Masahiro ein, erfreut über das Interesse seiner Eltern, obwohl Sano bezweifelte, dass der Junge verstand, was seine Entdeckung bedeutete. »Yanagisawa sagte, er könnte eine Scheidung erwirken, aber sie hat gesagt, es wäre Inzest.«
    Sano erinnerte sich, dass Masahiro ihn nach der Bedeutung dieses Wortes gefragt hatte. Jetzt wusste er, warum. Jetzt wusste er auch, weshalb Nobuko den Vorschlag Yanagisawas zurückgewiesen hatte. »Tsuruhime ist bereits mit einem Mann aus dem Klan der Tokugawa verheiratet. Aber sie haben keine Kinder. Das hat Yanagisawa wahrscheinlich auf den Gedanken gebracht, dass eine Scheidung und die Heirat mit einem anderen Mann, der mit ihr Kinder zeugen könnte, ein für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer Schritt gewesen wäre. Aber das konnte Nobukos Bedenken, Tsuruhime mit Yoritomo zu verheiraten, nicht zerstreuen, denn Yoritomo ist bekanntlich der Geliebte von Tsuruhimes Vater, dem Shōgun.«
    »Und das könnte man dann als Inzest bezeichnen«, warf Hirata ein.
    »Yanagisawa war sehr wütend«, sagte Masahiro.
    Und er war ein Mann, der niemanden, der seine Pläne durchkreuzte, ungestraft davonkommen ließ. Vor Sanos Augen erstand ein grauenerregendes Bild, eine schreckliche Antwort auf viele Fragen, die ihm durch den Kopf gingen.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Reiko.
    »Ich werde mich mit Yanagisawa unterhalten«, antwortete Sano, »und bei diesem Gespräch wird es nicht nur um die gescheiterten Hochzeitspläne gehen.«
    Doch Yanagisawa war nicht der Einzige, den Sano zur Rede stellen wollte. Er würde auch von Toda Ikkyu eine Erklärung verlangen.
    Falls er noch lange genug lebte.

43.

    Vier Tage später hatte Sano die Gelegenheit, Yanagisawa und Toda zur Rede zu stellen.
    In dieser kurzen Zeit hatte ein Umsturz die höchsten Ränge des bakufu erschüttert und das Leben von Sano und von all den Menschen verändert, die ihm nahestanden. Obwohl Sano schmerzliche Verluste hatte hinnehmen müssen, waren er und seine Familie wenigstens mit dem Leben davongekommen.
    Nun standen Sano, Marume und Fukida inmitten einer riesigen Menschenmenge auf dem Gelände vor Jojus Tempel, um der Bestrafung des berühmten Geisteraustreibers beizuwohnen.
    Der oberste Beamte des Ministeriums für Tempel und Heiligtümer verkündete: »Joju wurde für schuldig befunden, nyobon begangen zu haben.« Dies war ein Vergehen, das als »Verbrechen an Frauen«, bezeichnet wurde. Es bedeutete, dass jemand sich der Unzucht schuldig gemacht und gegen das Keuschheitsgelübde verstoßen hatte. »Aus diesem Grunde wurde Joju zum inu-barai verurteilt.«
    »Das ist eine harte Strafe«, sagte Marume, während ein Aufstöhnen durch die Menge ging.
    »Nicht so hart, wie er es verdient hätte, entgegnete Sano, »aber unter den gegebenen Umständen konnte ich nicht mehr herausholen.«
    Tatsächlich war es ja so, dass Joju sich keiner Entführung schuldig gemacht hatte. Die Vergewaltigung der Nonne und der alten Frau auf dem Schiff galten nach den Gesetzen der Tokugawa nicht als Verbrechen, und der Besuch eines illegalen Bordells war ein geringfügiges Vergehen. Und was die Nonne betraf, so hatte Joju sie nicht selbst getötet. Deshalb hatte Sano ihn zur Aburteilung dem Ministerium für Tempel und Heiligtümer übergeben, wie das Gesetz es vorschrieb. Das Ministerium war für die Bestrafung von Priestern und Mönchen zuständig, die vom rechten Weg abgekommen waren. Nachdem Sano seine Aussage gemacht hatte, befand das Ministerium den Priester der zwei Vergehen für schuldig und verhängte die Höchststrafe.
    Der Geisteraustreiber kam nun aus der Gebetshalle heraus, in der er noch vor Kurzem seine Rituale abgehalten hatte. Er war nackt und kroch auf allen vieren, und man hatte ihm einen toten Fisch tief in den Hals geschoben. Zwei Soldaten führten ihn an einer Leine, die um seinen Hals gelegt war. An dem fauligen Fisch würgend, der in seinem Rachen steckte, und verhöhnt und verlacht vom Pöbel, kroch er an Sano vorbei, ohne ihn zu bemerken. Am Tor des Tempels zerrten die Soldaten ihn hoch und lösten die Leine. Joju spie den Fisch aus und wischte sich mit der Hand über den Mund. Jetzt erst entdeckte er Sano. Seine Augen
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