Der Wolfstrank
wiederholte. Da hatten wir leider Pech. Und so konnten wir auch nicht die Richtung feststellen und mussten uns auf unser Glück verlassen. In diesem Wald gab es ein Zentrum, in dem alles seinen Beginn gehabt hatte, und genau das mussten wir finden.
Ich dachte wieder daran, dass Cedric Morton’s Körper keine Bisswunden gezeigt hatte. Er war auf eine andere Art und Weise zum Werwolf geworden. Sollte es wirklich das Mittel geben, um es zu schaffen, dann musste es zerstört werden.
Wir drangen tiefer in den Wald ein, und ich dachte daran, dass ich diese »Waldspaziergänge« schon öfter hinter mich gebracht hatte. Ich kannte schlimme und düstere Wälder, in denen das Grauen zu Hause war. Ich hatte auch schon Gebiete erlebt, die von dem Umwelt-Dämon Mandragoro beherrscht wurden, nur glaubte ich nicht, dass wir ihm hier begegnen würden.
Natürlich hielten wir unsere Augen auf. Wir waren nicht allein in diesem Gebiet, das stand fest, und irgendwann mussten wir doch die andere Person sehen.
Sie zeigte sich nicht, und so drangen wir tiefer in das schattige und nur durch wenig Licht gesprenkelte Gelände ein. Aus dem Boden wachsende Baumwurzeln konnten sehr leicht zu Stolperfallen werden. Oft mussten wir uns ducken und Hindernisse umgehen.
Suko, der die Führung nicht abgegeben hatte, änderte ein wenig die Richtung. Es gab eine Stelle im Wald, die noch dunkler war und mich schon an einen Urwald erinnerte. Wenn sich jemand versteckt hielt, dann fand er dort einen idealen Platz.
Es hatte keinen Sinn, nach Fußspuren zu suchen. Sie hätten sich auf dem oft weichen Boden sicherlich abgezeichnet, aber es war einfach zu dunkel, als dass sie uns aufgefallen wären.
Eine natürliche Grenze erreichten wir ebenfalls. Die Stürme der letzten Jahre hatten auch hier ihre Spuren hinterlassen. Sie waren in den Wald gefegt wie eine gewaltige Faust. Sie hatten Bäume getroffen und diese geknickt, als hätten diese alten Riesen überhaupt kein Gewicht.
Suko blieb stehen. Er wartete, bis ich ihn erreicht hatte. Dann deutete er über die Bäume hinweg. »Ich denke schon, dass wir dahinter das finden, was wir suchen.«
»Ja, die Gegend sieht recht gut aus.«
»Sie ist sogar ideal.«
Für uns nicht, denn durch das wenige Licht und die Düsternis verschwammen die Umrisse und sahen so aus, als würden sie in einem grünlichen Meer schwimmen.
Unsere Augen mussten sich erst darauf einstellen. Dann sahen wir, dass es trotz allem weiterging, wenn wir die Baumstämme überklettert hatten.
Suko wollte schon auf den Stamm steigen, um ihn zu überklettern, weil er auch eine Lücke gesehen hatte, als ich nach ihm griff und ihn festhielt.
»Runter!«, zischte ich.
Suko kam meiner Aufforderung sofort nach, und auch ich duckte mich blitzschnell.
Wir hockten in guter Deckung, schauten uns an, und Suko brauchte die Frage nicht erst zu stellen, denn ich sagte: »Ich glaube, ich habe sie gesehen.«
»Wen?«
»Das Mädchen!«
Suko schaute mich für einen Moment starr an. »Bist du dir sicher?«
»Ja.«
»Wohin ging sie?«
»In unsere Richtung.«
»Okay.«
Wir brauchten nichts weiter zu reden. Ein eingespieltes Team wie wir beide hatte dies nicht nötig. Wir konnten auch nichts verändern, und deshalb blieben wir zunächst hocken und warteten darauf, dass uns etwas zu Ohren kam.
Wer durch einen Wald normal geht, der verursacht Geräusche. Auch eine Lucy King konnte nicht fliegen, und jetzt wünschten wir uns sogar das Heulen herbei, das die Stille unterbrach. Noch hörten wir nur das Summen der Mücken, die sich unter dem dichten Blätterdach der Bäume sehr wohl fühlten.
Es dauerte nicht mal lange, als die Stille jenseits der Bäume unterbrochen wurde. Nicht von einem langgezogenen Heulen, sondern von schnellen, heftigen und keuchenden Atemstößen, die sich anhörten wie das Zischen einer Lok.
Das war sie!
Ich hielt den Atem ebenso an wie mein Freund.
Die Person kam näher. Aber wir hörten auch, dass sie sich sehr vorsichtig bewegte, als hätte sie uns gehört oder gewittert. Suko hielt es nicht mehr länger aus. Sein Platz war recht günstig. Er schob sich in die Höhe, doch nur so weit, bis er über den Stamm und durch eine kleine Astgabel schauen konnte, um den Blick auf die andere Seite zu richten.
Ich schaute ihn von der Seite her an, weil ich an seinem Gesichtsausdruck erkennen wollte, ob er etwas gesehen hatte. Er blieb neutral, auch dann, als sich mein Freund wieder zurückgezogen hatte. Er saß kaum geduckt neben mir,
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