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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf
Autoren: Erik Zimen
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von der Kochtopf- oder Bauernjagd,
die es im kleinen Maßstab über die Jahrtausende gegeben
hat. Wandel im Wald schaffte der Feudalismus, der nicht
nur die Bauern, sondern auch die jagdbaren Tiere zu Leibeigenen oder »De-facto-Leibeigenen« machte.
    Ab dem Mittelalter war das so genannte Hochwild (Hirsch,
Bär, Wildschwein, Wisent und Auerochse sowie Elch) nicht
mehr Quelle der Ernährung für jedermann, sondern Zielscheibe sportlichen Vergnügens der hohen Herrschaft. Wölfe
gehörten zu denen, die sich nicht an hochherrschaftliche
Jagdordnungen im Wald hielten ; Grund genug, um sie hart
zu verfolgen. Und da die Herren, wenn sie mit reichlich
erbeuteter Eiweißmasse an darbenden Landeskindern vorbei zurück in ihre Gemächer zogen, immer ein wenig Legitimationsnotstand hatten, kam der Wolf wie gerufen. Sie,
die Jäger von Gottes Gnaden, waren es, welche die Landeskinder vor dem bösen Wolf – der sich ja immer mal dann
und wann das Schaf eines armen Tagelöhners holte – großherzig und kühn beschützten.
    Dabei hatten wir lange angenommen, dass vor allem die
Armut der mittelalterlichen Bauern, ihre Angst vor dem
Vernichter ihrer Lebensgrundlage, der Nutztiere, alleinige
oder vorherrschende Ursachen für unser heutiges NegativWolfsbild waren.
    Erste Zweifel für die ausschließliche Gültigkeit dieser These
kamen mir auf Forschungsreisen in Rumänien. Die Bauern
in den Karpaten Rumäniens leben noch heute unter ganz
ähnlichen ökonomischen Bedingungen, wie einst die Bauern
Zentraleuropas im Mittelalter. Ihre Einstellung zum Wolf
hätte eigentlich voller Hass sein müssen – das zumindest
erwartete ich –, leben die Familien doch oft nur von einer
Kuh, ein paar Schafen und Ziegen sowie einigen Hühnern.
Wenn da der Wolf nachts in den Stall oder die Gatter einbricht, kann die ganze Lebensgrundlage auf einen Schlag
vernichtet sein, mit verheerenden Folgen. Nirgendwo sonst
in Europa leben zudem auf engem Raum so viele Raubtiere,
Wölfe, Bären und Luchse – alles Tiere, die Haustiere reißen oder reißen können.
    Meine Erwartung wurde angenehm enttäuscht! Was ich
bei meinen Recherchen erfuhr, stellte alle meine bisherigen
Thesen auf den Kopf. Verlor ein Schäfer ein Schaf an die
Wölfe, waren es nicht die Wölfe, die daran schuld waren,
sondern der Schäfer, der nicht aufgepasst hatte. So jedenfalls erklärte man es mir.
    Ein besonders drastisches Beispiel für diese Einstellung
erlebte ich, als zwei Waldarbeiter von einem Bär gerissen
und getötet wurden. Ich dachte, jetzt würde es einen großen Aufstand geben und die ganze Dorfbevölkerung würde
ausziehen, um den Bären zu töten. Doch nichts dergleichen geschah. Vielmehr machte man die beiden Männer
selbst für ihr Unglück verantwortlich. Schließlich waren
sie betrunken gewesen und mit einer Axt auf den Bären
losgegangen. Die Bauern fanden, dass man den Bären für
dieses Unglück nicht verantwortlich machen könne. So viel
Gerechtigkeitssinn verblüffte mich. Und erstaunlich fand
ich auch, wie wenig Angst die Menschen vor den Raubtieren im Wald hatten, insbesondere vor dem Wolf, von dem
sie keinerlei Gefahr ausgehen sahen.
    Betrachten wir Darstellungen des Wolfes aus dem Mittelalter, erkennen wir ein ähnlich realistisches Bild, sodass
man daran zweifeln muss, ob das uns so vertraute Bild
(Wolf im Schafspelz!) allein aus jener Zeit stammt.
    Ich nehme an, dass der Wolf sein negatives Image – in
seiner einseitigen Ausprägung – im 16. Jahrhundert erhalten hat, ein Tatbestand, auf den auch Gertrud Scherf in
ihrem ausgezeichneten Buch »Wolfspuren in Bayern« hinweist. Es scheint in der Tat so zu sein, dass der Wolf erst
zu Beginn der frühen Neuzeit, im Feudalismus, richtig
»böse« gemacht wurde.
    Und der Hass auf den Wolf spitzte sich noch einmal im
17. und 18. Jahrhundert, in der Zeit des Absolutismus, zu.
Eine Zeit, in der der Mensch dem Menschen wahrhaft ein
Wolf war (homo homine lupus).
    Die Massen verelendeten in völliger Rechtlosigkeit, sie
litten Hunger, Missernten häuften sich, es kam zu Seuchen,
eine marodierende Soldateska wuchs regelmäßig nach wie
Unkraut auf dem Feld. Vor allem aber : Selten zuvor war der
Unterschied zwischen Reich und Arm so groß und offensichtlich wie in jenen Tagen.
Die Notleidenden sahen ihr Los als Verhängnis mit vielen
Gesichtern ; und ein elendes Grundgefühl macht empfänglich für Sündenböcke ; der Wolf stand zur Verfügung.
    Der altböse Feind bot dem Adel die Möglichkeit,
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