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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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Augen. Die Hände, die einen zerfledderten, schimmligen Band zu neuem Leben erwecken konnten. Sie hörte ihm zu, als er von Berlin erzählte, wo er zum ersten Mal Kameeneinbände gesehen und eine Oper gehört hatte.
    »Einen Buchbinder willst du heiraten«, sagte meine Großmutter und seufzte, als mein Vater ein paar Wochen später um die Hand meiner Mutter anhielt. Seine Bildung, seine beruflichen Fähigkeiten interessierten sie nicht, er war ein Handwerker, das genügte ihr: Ihre einzige Tochter heiratete unter ihrem Stand. Um sie zu versöhnen, tauften meine Eltern mich auf Großmutters Namen. Sie starb noch vor meinem ersten Geburtstag.
    Meine Mutter nannte mich Barbara oder Basieńka. Im Polnischen wie im Russischen kann ein Name viele verschiedene Formen annehmen. Er kann sich ausdehnen oder zusammenziehen, er kann offiziell und hart oder weich und verspielt klingen. Und mit dem Namen verändert sich die Person, die ihn trägt; er kann sie in ein hilfloses Kind oder in eine Autorität verwandeln, in eine Geliebte oder in eine Dame, in eine Freundin oder in eine Todfeindin.
    Im Russischen wurde ich Warwara.
     
    Wenige Tage nach unserer Ankunft in Sankt Petersburg begann mein Vater mit seiner Arbeit für die kaiserliche Bibliothek. »Eine Sammlung, die eines großen Herrschers würdig ist«, sagte er, »lauter Schriften weiser und gelehrter Männer.« Peter der Große hatte von seiner Reise durch Westeuropa fünfzehntausend Bände mitgebracht; viele davon befanden sich mittlerweile in einem traurigen Zustand und mussten dringend restauriert werden.
    Mama strahlte vor Stolz. Jetzt zeigte es sich, dass sie den richtigen Mann geheiratet hatte, alle düsteren Prophezeiungen ihrer Mutter waren widerlegt. Was in Polen unmöglich war, würde in Russland möglich werden. Die Kaiserin Anna hatte angekündigt, sie wolle die neu gebundenen Bücher persönlich besichtigen, sobald sie fertig waren. In ihren hochfliegenden Phantasien sah Mama mich bereits als Hofdame, die schon bald die Aufmerksamkeit irgendeines hohen Herrn erregen würde.
    »Sie ist doch noch ein Kind«, gab mein Vater ihr zu bedenken.
    »Umso besser, denn so hast du genügend Zeit, dir einen Namen zu machen«, antwortete Mama. Die zerfledderten, schimmligen Bände der kaiserlichen Bibliothek waren in ihren Augen die Garanten künftigen Glücks, sie würden ihrem Mann zu der allerhöchsten Gunst verhelfen, die er in so reichem Maß verdiente.
    Gegen Ende unseres zweiten Jahres in Sankt Petersburg hatten wir bereits ein Haus ganz für uns. Sicher, es stand in einer etwas verwahrlosten Gegend auf der Wasiljewskiinsel, wo nachts noch
Wölfe über die verwilderten Felder streiften, aber wir hatten es doch weit besser als in Warschau.
    Es war nur ein Holzhaus, doch es bot viel Platz und hatte einen Keller, in dem mein Vater seine Werkstatt einrichtete. Er stellte Lehrlinge ein, wir hatten Dienstmädchen und Diener, eine Köchin, eine eigene Kutsche und einen Schlitten. Ich wurde von einer französischen Gouvernante und einem deutschen Hauslehrer unterrichtet, später engagierte meine Mutter auch noch einen Tanzmeister, der, wie er ihr versicherte, früher einer Nichte der Gräfin Woronzowa feinen Schliff beigebracht hatte. Mama wollte alles dafür tun, dass ihre Tochter gerüstet war, sobald sich eine gute Partie bot.
     
    Jeden Tag nach dem Unterricht stahl ich mich fort in Papas Werkstatt. Ich setzte mich auf einen Hocker in eine Ecke und sah meinem Vater bei der Arbeit zu, etwa wenn er bedächtig ein passendes Stück Leder aus dem Stapel neben der Tür auswählte. »Das beste Leder ist das vom Rücken«, erklärte er mir. »Das hat einen schön ebenmäßigen Farbton.« Fasziniert beobachtete ich, wie er die Schablone auf das Leder legte, sie so verschob, dass sie nur die weichen Teile ohne störende Unregelmäßigkeiten abdeckte, und schließlich die Einbanddecke ausschnitt.
    Er zeigte mir Bücher, die schlecht gemacht waren und die er jetzt reparieren musste. »So etwas darf nicht passieren«, sagte er kopfschüttelnd und deutete auf eine Stelle, wo das Blattgold abgeplatzt oder von zu viel Hitze hässlich verfärbt war. Seine Rezepte für gute Arbeit waren ganz simpel: Das Messer muss scharf sein, sagte er etwa; darauf kommt es an, nicht darauf, wie viel Kraft man in den Händen hat. Genauso wie seine Lehrlinge lernte auch ich, dass man mit einem stumpfen Messer nur das Leder kaputt macht.
    »Wirst du dir merken, was ich dir beibringe, Barbara?«, fragte
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