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Der Wettlauf zum Suedpol

Der Wettlauf zum Suedpol

Titel: Der Wettlauf zum Suedpol
Autoren: Guido Knopp
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der Antarktis. Obwohl am Kap Evans die Alltagsroutine unerschütterlich aufrechterhalten
wurde, war der Anblick der fünf leeren Kojen von Scott, Wilson, Bowers, Oates und Edgar Evans doch für alle bedrückend. Es stand für die Männer außer Frage, dass sie im kommenden Frühjahr versuchen mussten, Aufklärung über das Schicksal der Polfahrer zu erlangen, auch wenn sie die Chancen, deren sterbliche Überreste zu finden, als äußerst gering einschätzten. Scott und seine Begleiter seien am Beardmore in eine Gletscherspalte gefallen, so die fast einhellige Überzeugung. Nur Lashly, der auf der Rückreise den sterbenskranken Teddy Evans gepflegt hatte, vertrat die Meinung, dass sie an Skorbut gelitten haben mussten. Niemand konnte sich vorstellen, was in Wahrheit ihr Scheitern verursacht hatte.
    Abb 212
    Die Mulis, die neben den Hunden vor die Schlitten des Suchtrupps gespannt waren, waren ebenso ineffizient wie zuvor die Ponys.
    Am 30. Oktober brach die Suchgruppe am Hut Point auf. Sie bestand aus zwölf Mann, zwei Hundeteams und sieben indischen Himalaja-Maultieren, die auf Vorschlag von Oates von der Terra Nova für die zweite Saison in die Antarktis gebracht worden waren. Sie erwiesen sich allerdings als noch ineffizienter als die Ponys, da sie auf der Barriere komplett die Nahrungsaufnahme
verweigerten. Weil die Männer glaubten, dass ihnen eine lange Reise möglicherweise bis zum Gipfel des Beardmore-Gletschers bevorstand, baute die gesamte Logistik mit mehreren Gruppen, die an verschiedenen Punkten umkehren sollten, auf den Prinzipien der Poltour vom vorangegangenen Jahr auf.
    Doch schon kurz hinter dem One Ton Depot fanden sie am 12. November schließlich, was sie suchten. Wright hatte anderthalb Meilen abseits des Kurses etwas gesehen, das zunächst wie eine Schneewarte aussah. Aber irgendetwas schien es damit auf sich zu haben, und als sie näher kamen, sahen sie einen dunklen Fleck im Schnee. Wright winkte die anderen heran. »Es ist das Zelt«, sagte er leise. Minutenlang waren die Männer wie gelähmt. Dann ging einer hin, bürstete den Schnee weg, und das Lüftungsfenster kam zum Vorschein. »Wir haben sie gefunden«, trug Cherry-Garrard in sein Tagebuch ein, »und nur zu sagen, dass es ein grauenvoller Tag ist, reicht nicht. Es fehlen einem die Worte dafür.« Atkinson als Kommandant und Lashly als ältestes Mitglied der Gruppe öffneten den Eingang und gingen hinein. Als Lashly wieder herauskam, hatte er Tränen in den Augen.
    Nacheinander blickten nun auch die übrigen Männer in das Zelt. Cherry-Garrard beschrieb, welches Bild sich ihnen bot: »Bowers und Wilson schliefen in ihren Schlafsäcken. Scott hatte die Klappen seines Sacks am Ende zurückgeworfen. Seine linke Hand war zu Wilson, seinem Freund bis in den Tod hinein, hinübergestreckt. Unter dem Kopfteil seines Schlafsacks lag, zwischen dem Sack und dem Bodentuch, die grüne Brieftasche, in der er sein Tagebuch aufbewahrte.« Wilson und Bowers waren offenbar ruhig eingeschlafen, Wilson hatte sich halb aufgesetzt und die Hände wie zum Gebet gefaltet, ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. Scott dagegen schien im Augenblick des Todes schwer gekämpft zu haben. Offenbar war er als Letzter gestorben. Neben Scott lag die Spirituslampe, die ihm zuletzt als Wärme- und Lichtquelle gedient haben musste. Das Zelt selbst wirkte aufgeräumt und sauber, kein Schnee war ins Innere gedrungen. Auf dem Bodentuch verstreut lagen einige Briefe.
    Atkinson nahm das Tagebuch an sich und befolgte die auf den Einband gekritzelte Anweisung Scotts, der Finder möge die Notizen lesen. Währenddessen gruben die übrigen Männer den Schlitten aus dem Schnee, auf dem noch immer die geologischen Fundstücke vom Beardmore-Gletscher lagerten. Sie fanden auch die Geschirre, die Skier und Skistöcke der drei Männer. Dann versammelte Atkinson die Gruppe um sich und las ihnen den Bericht über Oates’ Tod und Scotts »Botschaft an die Öffentlichkeit« vor. So erfuhren sie auch, dass Amundsen der Erste am Pol gewesen war. Irgendjemand drückte Tryggve Gran danach die Hand und beglückwünschte ihn, doch der junge Norweger wäre in dem Moment am liebsten im Schnee versunken.

    Abb 213
    Ihre ernsten Mienen verraten es: Die Aufgabe, die den Männern des Suchtrupps bevorstand, war nicht leicht.
    Abb 220
    »Wir haben sie gefunden«: Das Todeszelt der Polargruppe. Das abgenommene äußere Zelttuch diente den drei Leichen als Sarg.
    Abb 187
    Abb 206
    Eisiges Mausoleum: Die
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