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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Autoren: Iny Lorentz
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unterwegs verlieren sollte. Da Rosita seine Frau aber gewiss danach fragen würde, verwarf er diesen Gedanken sogleich wieder. Stattdessen zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen. »Ich sage auch Ihnen herzlichen Dank, Señora. Sie sind sehr liebenswürdig!«
    »Ich freue mich doch, wenn ich Ihrer Frau helfen kann, rasch eigenes Gemüse zu ziehen«, erklärte Rosita Jemelin so strahlend, dass Walther sich schlecht fühlte, weil er ihrem Geschenk so wenig Freude entgegenbrachte.
    »Sie sollten über Nacht bleiben, denn es ist schon spät«, schlug Diego Jemelin vor. »In der Dunkelheit streifen Indios umher, und ein einzelner Reiter fällt ihnen leicht zum Opfer.«
    Ein Blick nach draußen zeigte Walther, dass Jemelin recht hatte. Wenn er jetzt aufbrach, würde er erst kurz vor Mitternacht zu Hause sein. Trotzdem zwang ihn seine Unruhe, Jemelins Einladung abzulehnen.
    »Wenn ich über Nacht ausbleibe, wird meine Frau sich ängstigen. Daher reite ich lieber zurück.«
    Er nahm die Samen an sich, bedankte sich noch einmal und verließ das Haus. Anders als die Häuser in San Felipe de Guzmán war es nicht aus Adobeziegeln errichtet worden, sondern aus Holz wie das seine. Noch gab es hier keine Arbeiter, die Ziegel formen und in der Sonne trocknen lassen konnten. Die würden erst kommen, wenn in dieser Gegend mehr Menschen lebten. Aus Mexiko selbst kamen jedoch zu wenige Siedler, und auch die Einwanderung aus Europa hielt sich in Grenzen, weil die meisten, die den alten Kontinent verließen, in die Vereinigten Staaten strebten.
    Vielleicht sind die von Hernando de Gamuzana und Diego Jemelin verachteten Americanos sogar die Lösung, sagte sich Walther. Wenn es weiter oben am Fluss eine Siedlung gab, konnte er mit den Bewohnern Handel treiben und vieles, was Gisela und er brauchten, von ihnen erstehen. Selbst wenn die Waren ins Land gekommen waren, ohne je einen mexikanischen Zollbeamten zu sehen, war es besser, sie zu besitzen, als darauf verzichten zu müssen. Doch das war nichts, worüber er mit Diego Jemelin sprechen durfte.
    Walther verabschiedete sich von seinen Nachbarn, stieg auf sein Pferd und ritt nach Norden. Obwohl es viel gab, über das nachzudenken sich lohnte, zwang er sich, aufmerksam zu sein. In diesem Land war es immer von Vorteil, als Erster den anderen zu sehen.

5.
    F eindliche Indianer waren nur eine der vielen Gefahren, die hier drohten. Die Wahrscheinlichkeit, von einer Giftschlange gebissen zu werden und elend umzukommen, war im Grunde größer. Auch konnte ein Pferd mit dem Huf in einem Kaninchen- oder Präriehundebau hängenbleiben und sich das Bein brechen. Walther schossen eine Menge Dinge durch den Kopf, die einem vor allem in der Dunkelheit zustoßen konnten, und er erwog einen Augenblick lang, umzudrehen und zu Jemelins Hacienda zurückzukehren. Der Gedanke, vor seinem Nachbarn als Feigling dazustehen, brachte ihn jedoch wieder davon ab. Stattdessen schlug er ein gemäßigtes Tempo an und hoffte, dass sein Pferd mögliche Hindernisse früh genug bemerkte.
    Walther wurde rasch klar, dass seine Schätzung, vor Mitternacht zu Hause zu sein, optimistisch gewesen war. Dafür war die Geschwindigkeit, die er seinem Reittier zumuten konnte, zu gering. Andererseits empfand er die vom Licht des fast vollen Mondes erhellte Landschaft als wunderschön.
    In der alten Heimat war er als Förster oft des Nachts unterwegs gewesen und hatte den Geräuschen des Waldes gelauscht. Auch in diesem Land vernahm er die Rufe der Tiere und den Wind, der durch die Büsche strich. Doch es wirkte anders auf ihn. Dort war er Herr über die Natur gewesen, hier war er nur ein winziger Splitter in einem unendlich erscheinenden Land, das ihn sowohl mit offenen Armen aufnehmen wie auch innerhalb eines Augenblicks vernichten konnte.
    In dieser Nacht dachte Walther viel an Gisela und das Kind, das in wenigen Wochen zur Welt kommen würde. Für ihn war es klar, dass es nur ein Sohn sein konnte, der einmal weiterführen würde, was er begonnen hatte. Noch wusste er nicht, welchen Namen er dem Jungen geben sollte. Der Tradition seiner Familie zufolge müsste er Waldemar heißen, nach seinem eigenen Vater, oder besser gesagt Waldemaro, wie es die mexikanischen Behörden verlangten. Vielleicht sollte er seinen Sohn besser Josef nennen, nach Giselas Vater. Rufen würde man ihn dann José, wie es hier üblich war.
    »José Fichtner oder Waldemaro Fichtner, was klingt besser?«, fragte er sich und zuckte beim Klang seiner Stimme
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