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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter
Autoren: Bernard Cornwell
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dass ich, Uhtred von Bebbanburg, Ubba Lothbrokson im Zweikampf getötet habe?», brüllte
     ich durch die Zeltkapelle.
    Alles schwieg. Es war nicht meine Absicht gewesen, den Gottesdienst zu stören, aber nun hatte unbändiger Stolz und rasende
     Wut Besitz von mir ergriffen. Die Fahnen schlugen im böigen Wind, Regenwasser tropfte von den Rändern der Zeltplanen, und
     aller Augen waren auf mich gerichtet. Niemand antwortete, doch alle sahen, dass ich Odda fixierte, dem es offenbar die Sprache
     verschlagen hatte. «Wer hat Ubba getötet?», brüllte ich ihn an.
    «Dein Verhalten ist ungebührlich», herrschte mich Alfred an.
    «Das hier hat Ubba zu Fall gebracht», entgegnete ich und zückte Schlangenhauch, mein Schwert.
    Und das war mein nächster Fehler.
     
    Während ich im Winter als eine der an Guthrum ausgelieferten Geiseln in Werham festgesessen hatte, war in Wessex ein neues
     Gesetz beschlossen worden, das mit Ausnahme der königlichen Leibwache jedermann streng untersagte, in Anwesenheit des Königs
     eine Waffe zu ziehen. Mit diesem Verbot sollte nicht nur Alfred geschützt, sondern auch verhindert werden, dass Streitereien
     unter seinen Gefolgsleuten womöglich tödlich endeten. Ich hatte also, indem ich Schlangenhauch zog, unwissentlich gegen dieses
     Gesetz verstoßen, worauf ich mich plötzlich von Alfreds Wachen umzingelt sah, die mit Speeren und blanken Klingen näher rückten,
     bis Alfred, in rotem Umhang und barhäuptig, mit lautem Ruf verlangte, dass sich niemand mehr vom Fleck bewegen solle.
    |22| Dann kam er auf mich zu, und ich sah, wie zornig er war. Er hatte ein schmales Gesicht mit langer Nase und spitzem Kinn, eine
     hohe Stirn und schmale Lippen. Sonst immer glatt rasiert, hatte er sich einen kurzen Bart wachsen lassen, der ihn älter machte.
     Er war noch keine dreißig Jahre, sah aber aus wie vierzig. Außerdem war er überaus schlank, und man sah ihm die Schwächung
     durch seine häufigen Krankheiten an. Wie der König der Westsachsen wirkte er nicht; bleich wie er war, hätte man ihn eher
     für einen Priester halten können, der allzu lange in einer dunklen Klause über seinen Büchern gebrütet hatte. Doch seine Augen,
     die wie hellgraues Metall schimmerten, zeugten unverkennbar von Autorität. «Du hast meine Andacht gestört», sagte er, «und
     den Frieden Gottes beleidigt.»
    Ich steckte Schlangenhauch in die Scheide zurück, nicht zuletzt, weil mich Beocca flüsternd dazu aufgefordert hatte, mich
     nicht wie ein Narr aufzuführen und das Schwert zu senken. Jetzt zerrte er an meinem rechten Bein, damit ich aus dem Sattel
     stieg und vor Alfred, den er verehrte, niederkniete. Ælswith, Alfreds Gemahlin, starrte mich voller Abscheu an. «Er muss bestraft
     werden», rief sie.
    Der König deutete auf eines seiner Zelte und sagte: «Erwarte dort mein Urteil.»
    Mir blieb keine Wahl, ich musste gehorchen, denn seine vollgerüsteten Gardetruppen drängten auf mich ein. Und so wurde ich
     zu dem Zelt geführt, wo ich vom Pferd abstieg und durch die Luke ins Innere schlüpfte. Es roch nach welkem, zertretenem Gras.
     Der Regen prasselte auf die Zeltplane aus Leinen und tropfte durch ein Leck auf einen Altar, auf dem ein Kruzifix und zwei
     leere Kerzenständer standen. Anscheinend war das Zelt die Privatkapelle des Königs. Alfred ließ mich lange warten. Die Versammlung
     der Betenden zerstreute sich, der Regen hörte auf, und |23| durch die Wolken drang wässriges Sonnenlicht. Irgendwo spielte jemand Harfe, vielleicht zur Unterhaltung des Königspaares,
     während es zu Tisch saß. Ein Hund kam ins Zelt, blickte zu mir auf, pinkelte an den Altar und trollte sich wieder. Die Sonne
     verschwand, und es fing erneut zu regnen an. Dann flog plötzlich die Plane vor dem Einstieg zurück; zwei Männer traten ein.
     Der eine war Æthelwold, Alfreds Neffe, dem Wessex’ Thron als rechtmäßiger Erbe zugestanden hätte, doch weil er für zu jung
     erachtet worden war, hatte man seinem Onkel die Krone zuerkannt. Æthelwold grinste mir verlegen zu und verwies auf seine Begleitung,
     einen kräftigen, rund zehn Jahre älteren Mann mit Vollbart. Der schnäuzte sich zur Begrüßung in die Hand, und wischte sie
     daraufhin an seinem Lederrock ab. «So was nennt man Frühling», knurrte er und bedachte mich mit finsterem Blick. «Dieser verfluchte
     Regen hört einfach nicht auf. Weißt du, wer ich bin?»
    «Wulfhere», antwortete ich. «Aldermann von Wiltunscir.» Er war ein Vetter des Königs
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