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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder
Autoren: Douglas Starr
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als sie ihn zurückwies, kehrte die Bestie zurück.
    Nachdem er im Dorf angekommen war, versuchte er tagelang, ihre Mutter und ihre Familie für sich einzunehmen, doch er schaffte es nur, ihnen auch Angst einzujagen. Am Morgen des 25. Juni 1893 besuchte er Louise bei ihrem Dienstherrn. Nach einer abschließenden Aussprache wollte er mit dem Zug nach Besançon zurückfahren. Als Louise die Tür öffnete und ihn sah, wich sie zurück.
    »Warum fürchtest du dich, Louise?«
    »Ich fürchte mich nicht«, erwiderte sie wenig überzeugend.
    »Schau, ich will dir nichts tun. Ich komme in Frieden, um die Sachen abzuholen, die mir gehören.«
    Er beharrte wie besessen darauf, dass sie ihm seine Briefe, die wertlosen Schmuckstücke, die er ihr geschenkt hatte, und das Geld, das er in Restaurants für sie ausgegeben hatte, zurückgab. Sie händigte ihm alles aus, was er haben wollte, aber er war immer noch nicht zufrieden. Als er nicht aufhörte, ihr Vorwürfe zu machen, begann sie vorsichtig, rückwärtszugehen und die Marmortreppe hinaufzusteigen. Je länger er redete, desto aufgeregter wurde er.
    »Wieso willst du mich nicht, Louise? Wir könnten doch so glücklich sein! Du weißt ja gar nicht, wozu ich fähig bin. Ich habe es dir schon einmal gesagt und wiederhole es nun: Ich bin verrückt nach dir. Komm mit mir.«
    Sie drohte ihm damit, dass sie ihren Herrn wecken würde, wenn er nicht sofort das Haus verlasse, und der werde ihn dann hinauswerfen. Vacher schob die rechte Hand in die Tasche.
    »Du willst also nicht mitkommen?«
    »Nein!«
    Daraufhin zog er den Revolver heraus und feuerte einen Schuss ab. Die erste Kugel drang in Louises ’ Mund ein, zerschmetterte zwei Zähne, durchschlug die Zunge und trat aus der Wange heraus. Sie schrie auf und brach zusammen. Zwei weitere Schüsse streiften ihren Scheitel, während sie fiel, und einer schlug in der Wand ein. Dann schoss Vacher sich selbst zweimal ins Gesicht.
    Die Schüsse hallten im Flur derart laut wider, dass die Hausbewohner aus ihren Schlafzimmern eilten und Passanten von der Straße ins Haus stürzten. Sie fanden Louise auf der Treppe kauernd vor. Vacher taumelte mit blutbeschmiertem Gesicht blind herum, stolperte ein paar Schritte zur Tür hinaus und brach auf der Straße zusammen. 1
    So begann das öffentliche Leben von Joseph Vacher, einem der berüchtigtsten Serienmörder seines Jahrhunderts, der mehr Menschen tötete als Jack the Ripper. Der Vorfall mit Louise Barant war zwar sein erster Konflikt mit dem Gesetz, aber er war seinen Mitmenschen schon seit Jahren unangenehm aufgefallen und hatte ihnen Unbehagen eingeflößt. Nachbarn in Beaufort erinnerten sich an ihn als Kind, das schnell Streit anfing und bei Raufereien auf dem Schulhof ungewöhnlich gewalttätig war. Einmal, als er das Vieh der Familie hüten sollte, hatte er die Tiere auf eine Wiese geführt und einigen die Beine gebrochen. Als Teenager verbrachte er ein paar Jahre in einem Kloster, wurde aber wegen nicht näher genannter Fehltritte relegiert. Später wurde er zum sechzehnten Regiment in Besançon eingezogen. Obwohl die strenge Disziplin beim Militär ihm guttat, neigte er auch dort zu Wutausbrüchen. Alle Leute fanden ihn irgendwie sonderbar, doch sie hatten, wie er selbst zu Louise gesagt hatte, keine Ahnung, wozu er tatsächlich fähig war.
    Verbrechen aus Leidenschaft kamen damals häufig vor, wurden milde bestraft und oft dem Opfer zur Last gelegt. Nachdem Vacher auf Louise geschossen hatte, verbrachte er mehrere Wochen im Krankenhaus. Dann schickte man ihn zur Beobachtung in ein Irrenhaus in der Nachbarstadt Dole, wo die Ärzte herausfinden sollten, ob er hinreichend zurechnungsfähig war, um ihn vor Gericht stellen zu können. Das »24-Stunden-Attest«, das den ersten Tag des Patienten in der Anstalt dokumentierte, bezeichnete ihn als ruhig. Er reagiere kaum auf Fragen und bereue seine Tat. Die Ärzte beschrieben in allen Einzelheiten, wie die Schüsse ihn entstellt hatten: Eine purpurrote Furche zog sich über seinen rechten Kiefer, und gelblicher Eiter rann aus dem rechten Ohr – er würde sein Leben lang stigmatisiert bleiben. Bei jedem Atemzug flatterte seine rechte Wange wie ein loses Segel, weil eine Kugel einen Gesichtsnerv durchtrennt hatte. Beim Sprechen konnte er kaum den Mund öffnen, und seine Stimme klang nasal und undeutlich.
    Er schien eher ein gebrochener als ein gefährlicher Mann zu sein. Doch als er sich im Laufe der nächsten Wochen erholte und kräftiger wurde,
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