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Der Waldläufer

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Karl May
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welche sie trugen, nicht zu unterscheiden. Der im Boote zurückgebliebene Mann hatte sich dicht in den Mantel gewickelt und hielt die Augen auf die hohe See gerichtet, so daß er die Gestalt Pepe’s nicht bemerkte, welcher sich jetzt langsam aufrichtete und mit dem Auge die Entfernung maß, die ihn von dem flachen Ufer trennte. Da machte der Fremde eine Bewegung, um sich nach der Landseite hinzuwenden, und in demselben Augenblicke sprang der gewandte Miquelete mit einem tigerartigen Satze zu ihm hinab. Ehe der Ueberraschte nur einen Laut auszustoßen vermochte, setzte er ihm die Mündung des Karabiners auf die Brust.
    »Kein Laut und keine Bewegung, Sennor, sonst sind Sie ein Kind des Todes!«
    »Wer bist Du?« frug der Ueberfallene, mit funkelndem Auge die drohende Stellung seines Feindes messend.
    »Wer ich bin? Wer denn anders als Pepe, der da droben liegt und wie ein Todter schläft. Die Möve ist kein Vogel, auf den man sich verlassen kann!«
    »So hat mich Don Lukas Despierto betrogen? Wehe ihm!«
    »Er Euch betrogen? Fällt ihm gar nicht ein! Ich handle hier nur nach meinem eigenen Ermessen. Er ist ganz unfähig, Euch zu täuschen, wie die vierzig Unzen beweisen, die er mit nach Hause nimmt.«
    »So hältst Du uns für Schleichhändler?«
    »Nein. Sie haben ja nicht eine Spur von Waare bei sich, man müßte denn die Strickleiter, welche hier auf der Ruderbank liegt, für eine Musterprobe halten. Ich halte Sie vielmehr für einen Herrn, der in der Ensenada eine Promenade machen will, um sich die Beine ein wenig auszutreten, und da ich dies eigentlich nicht zugeben darf, so schmeichle ich mir, daß sich noch einige Unzen in Ihrer Tasche befinden.«
    »Ah so! Wie viel willst Du?«
    »Sie haben dem Hauptmann vierzig Unzen gegeben!«
    »Zwanzig!«
    »Ich an Ihrer Stelle hätte vorgezogen, vierzig zu sagen, weil dies die wirkliche Summe ist und – – –«
    »Zwanzig, sage ich Dir!«
    »Gut, ich bin rücksichtsvoll und werde nicht lange mit Ihnen streiten. Also zwanzig hat der Hauptmann bekommen! Ich will nicht unbescheiden sein: er ist Offizier, und ich bin nur Soldat; hätten Sie ihm vierzig gegeben, so könnte ich mich mit zehn begnügen, da er aber nur zwanzig bekommen hat, so muß ich die vierzig verlangen!«
    »Schurke!«
    Der Fremde war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er hatte den bräunlichen Teint des Seemannes; dichte, dunkle Augenbrauen begrenzten eine große, knochige Stirn: die Augen, welche düster in ihren Höhlen brannten, zeigten unversöhnliche Leidenschaftlichkeit an; der nach unten gekrümmte Mund bekundete ein höhnischstolzes Wesen, und die trotz des jugendlichen Alters stark markirten Wangenfalten verliehen dem Gesichte einen arroganten, verächtlichen Ausdruck. Rachsucht und Ehrgeiz schienen die vorherrschenden Neigungen dieses Mannes zu sein. Nur die dunkeln, gelockten Haare milderten die Kälte und Strenge dieser Physiognomie um ein Weniges. Was die Kleidung betrifft, welche er trug, so bestand sie in der Uniform eines Offiziers der spanischen Marine. Bei seinem letzten Ausrufe blitzten seine Augen drohend empor und er machte eine Bewegung, als ob er aufspringen wolle.
    »Bleiben Sie sitzen, Sennor, sonst schmecken Sie die Kugel! Den ›Schurken‹ will ich nicht gehört haben, aber sagen Sie das Wort nicht zum zweiten Male, denn ich bekümmere mich auch nicht darum, zu welcher Gattung von Menschenkindern Sie gehören! Vierzig Unzen also, Sennor!«
    »Ich habe sie nicht bei mir!«
    »Das thut mir leid um Ihretwillen, denn dann muß ich meinen Karabiner sprechen lassen oder Sie als verdächtig arretiren!«
    »Warte, bis meine Leute kommen, mit deren Hülfe ich die Summe vielleicht zusammenbringen werde!«
    »Ich habe nicht die mindeste Lust, mit den beiden Menschen handgemein zu werden. Steigen Sie aus und folgen Sie mir! Ich stehe hier auf Posten und habe jede mir verdächtig erscheinende Person abzuliefern.«
    »Also, wenn ich zahle, so kann ich thun was mir beliebt?«
    Pepe nickte.
    »Vierzig Unzen!«
    »Ich habe sie wirklich nicht bei mir, aber hier ist ein Ring, der das Fünffache werth ist!«
    Er streifte einen Reif von seinem Finger und bot ihn dem Miquelete hin, dieser nahm und untersuchte ihn; er schien unschlüssig zu sein.
    »Nimm ihn und packe Dich!« meinte der Kapitän zornig.
    »Ich will es riskiren und nehme ihn für vierzig Unzen an.«
    »Und nun bist Du taub, blind und stumm?«
    »So weit ich es fertig bringe, ja, vorausgesetzt, daß Sie Ihre
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