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Der Waldläufer

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Karl May
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verbotenen Handwerkes zu theilen. Daher entwickelten Alle, vom Hauptmanne der Karabiniere, Don Lukas Despierto, an bis zum geringsten Offizianten herab, eine unermüdliche Thätigkeit, bei welcher sich ihre heimlichen Interessen feindselig gegenüberstanden und sie alle List und Schlauheit anwenden mußten, einander den Vortheil aus der Hand zu ringen.
    Unter diesen Küstenwächtern gab es einen, welcher in Beziehung auf den Schleichhandel eine vollständige Gleichgiltigkeit an den Tag legte; er ging sogar so weit, ganz bestimmt zu behaupten, daß ein Schmuggel hier ganz unmöglich sei und darum auch niemals existirt habe. Man wußte, daß er auf seinem Posten beständig einschlief, und nannte ihn daher nicht anders als den »Schläfer,« ein Name, dem er so viel wie möglich Ehre zu machen suchte.
    Er hieß Pepe und war ein Kerl von fünfundzwanzig Jahren, groß, mager, sehnig und überaus stark. Seine schwarzen, tief unter dichten Brauen verborgenen Augen blickten gewöhnlich apathisch in die Welt, doch konnten sie, wenn er sich unbeobachtet wußte, auch Blitze werfen, die man ihnen sonst nicht zugetraut hätte. Seine Züge hatten ein durchaus schläfriges Aussehen, und sein Gang, seine ganze Haltung war diejenige eines Mannes, der am liebsten Gottes Wasser über Gottes Land laufen läßt. Er schien bei allen Anzeichen eines rüstigen Körpers und einer feurigen Seele der gleichgiltigste, phlegmatischste Mensch der Erde zu sein. Beständig in seiner Hängematte liegend, schlief er Tag für Tag zwanzig Stunden und dachte, wenn er erwachte und sich seine Cigarette anbrannte, mit Entzücken daran, daß er bald wieder einschlafen werde.
    Man hätte denken sollen, daß sein Vorgesetzter, der Hauptmann Don Lukas Despierto, über diesen Mangel an Pflichteifer höchst erzürnt sein werde; dem war aber nicht so, und das hatte wohl seine guten Gründe. Don Lukas hatte auf seinem Bestallungsdekret wohl ein beträchtliches Gehalt verzeichnet, von demselben aber, gerade wie seine Untergebenen, seit mehreren Jahren nicht die mindeste Spur in seiner Tasche bemerkt, und da sich die Finanzen des Reiches in den allermißlichsten Verhältnissen befanden, so gab es auch keine Hoffnung, jemals Etwas ausgezahlt zu erhalten. Daher philosophirte er folgendermaßen: Beißt den König sein Gewissen nicht, wenn ich trotz meines Amtes verhungere, so beißt mich auch das meinige nicht, wenn ich trotz dieses Amtes zu leben suche. Ich soll an der Küste aufpassen und darben, gut, ich werde meine Augen offen halten und dabei Geld verdienen. Meine Karabiniere dürfen freilich nicht das Mindeste davon merken, sonst könnte ich um die schöne Anstellung kommen, und ein Amt ohne Gehalt ist immerhin besser als gar nichts. Der Gescheideste von allen Miqueletes ist doch dieser brave Pepe. Er verschläft den Hunger und wird sich nie darum kümmern, ob sein Hauptmann Privatgeschäfte macht. Ich kann mich auf ihn oder vielmehr auf seine Schlafsucht vollständig verlassen und werde ihn stets dahin stellen, wo ich keine Augen brauche! – Pepe war damit vollständig einverstanden und gab sich nicht die geringste Mühe, seine dienstliche Befähigung in einem helleren Lichte erscheinen zu lassen. Auch das hatte vielleicht seine guten Gründe.
    Eines Abends lehnte er an seiner Thür und lauschte den nimmer ruhenden Stimmen der Natur. Ein dichter Novembernebel lag auf der See und bot im Vereine mit der nächtlichen Dunkelheit dem Auge unüberwindliche Hindernisse dar. Pepe hatte in der Dämmerung ganz draußen am Horizonte ein Segel bemerkt, welches zu kreuzen und also die Nacht abzuwarten schien, um unbemerkt an der Küste anlegen zu können.
    Da erklangen Schritte, und sofort schlossen sich seine Augen, sein Kopf neigte sich auf die Brust herab, und seinem halbgeöffneten Mund entquollen jene wundervollen Töne, welche der musikalische Laie mit dem häßlichen Worte Schnarchen bezeichnet. Der Nahende war ein Kamerad.
    »Pepe!« rief er, als er den Schläfer erkannte.
    Der Angeredete antwortete mit einem kurzen Grunsen.
    »Pepe, wach’ auf, altes Murmelthier!«
    »Wo – wie – wa – was?« frug jetzt der Miquelete, indem es schien, als erwache er aus dem tiefsten Schlafe.
    »Per dios, der Kerl schläft sogar im Stehen, grad wie ein steifbeiniges Maulthier, welches sich nicht mehr legen kann! Reib Dir die Augen aus und mach Dich von hinnen; der Hauptmann will sofort mit Dir sprechen!«
    »Der Hauptmann?« klang es mitten aus einem entsetzlichen Gähnen
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