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Der Waldläufer

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Karl May
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Aber Ihr sollt meine Geschichte hören.«
    »So macht, daß sie beginnt!«
    »Vor einigen Jahren kam ein merkwürdiges Original von Engländer – gerade so wie dieser Sennor Wallerstone, vielleicht ist er es gar selbst – nach Texas und bot dem berühmtesten Jäger dort tausend Piaster oder fünftausend Franken, wenn er ihm den weißen Renner der Prairie bringe. Der Jäger ging auf den Vorschlag ein. Er verschaffte sich ein Pferd von außerordentlicher Schnelligkeit, den besten Läufer, den man kannte, und ritt hinaus in die Savanne.«
    »Fand er den Renner?«
    »Er fand ihn, sage ich Euch, und dies war nicht nur ein Zufall, sondern geradezu ein ganz unerhörtes Glück.«
    »Und er verfolgte ihn?«
    »Das versteht sich ja ganz von selbst! Er verfolgte ihn mit hochgeschwungenem Lasso, setzte über Abgründe, sprang über Felsen, schwamm über Ströme, flog durch weite Ebenen, sein Pferd war schnell wie der Wind, und der weiße Renner verlor jeden Augenblick ein wenig von seinem Vorsprunge.«
    »Holla, das höre ich gern. Er wird ihm die Schlinge um den Hals werfen!«
    »Wartet ein wenig, Sennor Franzesko! Wenn ich sage, daß der Renner von seinem Vorsprunge verlor, so soll das nicht auch heißen, daß er sich fangen läßt. Er blieb nur deshalb zurück, weil er sich jeden Augenblick umschaute, um seinem Verfolger einen Blick zuzuschleudern, aus welchem Tod und Verderben sprühte. Und dennoch folgte ihm der Texaner, obgleich er gehört hatte, daß der Renner kein Pferd, sondern der Geist der Savanne sei, welcher über die Steppe jage nur um die Menschen in die Irre zu führen. Er dachte an den Beutel mit den tausend Piastern und ritt weiter. So ging es von früh bis zum Mittag, vom Mittag bis zum Abend. Der Vorsprung wurde kleiner, dennoch aber kam der Jäger nicht so nahe, daß er seinen Lasso hätte gebrauchen können. Es wurde Nacht und sein Pferd begann jetzt zu ermüden.«
    »Aber wie konnte er in dunkler Nacht dem Renner folgen?«
    »Erstens ist der Renner ein Schimmel, weiß wie Milch, der auch in der Finsterniß für ein gutes Auge noch zu erkennen ist, und zweitens zogen seine Hufe, die im Galopp den steinigen Boden schlugen, vier feuersprühende Furchen durch die Nacht.«
    »Per dios, ich habe noch nie gehört, daß Horn auf Steinen Feuer hervorbringt!«
    »Ich auch nicht; dafür aber ist der Renner auch der Geist der Savanne! Es mochte wohl um Mitternacht sein, als der Jäger ihn endlich erreichte. Er schwang den Lasso, und als er ihn werfen wollte hatte er – nichts in der Hand, sogar der Knoten am Sattelknopfe war aufgelöst und weg. Und zu gleicher Zeit versetzte der Renner dem Pferde des Texaners mit den Hinterhufen einen Schlag vor die Brust, daß es todt zusammenbrach. Dann hörte er das Geisterthier weit unter sich in die Nacht hineinjagen. Er blieb bei der Leiche seines Pferdes, bis es Morgen war, und sah nun zu seinem Schrecke, daß er sich am Rande eines Abgrundes von vielen hundert Fuß befand. Der Renner war hinabgesprungen, ohne sich zu beschädigen, und weidete weit draußen am Horizonte im hohen Grase. Das ist die Geschichte, welche mir der Texaner erzählt hat, als er von dieser Jagd zu Fuße und bis zum Tode erschöpft zurückkehrte.«
    Jetzt öffnete sich das Zelt des Engländers, welcher aus demselben hervortrat und nach dem Waldesrande ging, wo die drei Pferde weideten. Dort lag auch Wilson.
    »Master Wilson!«
    »Sir Wallerstone!«
    »Ich möchte die Umgebung absuchen, ob nicht die Spuren des weißen Renners zu finden sind, sattelt mein Pferd!«
    »Euer Pferd satteln? Davon steht nichts im Kontrakte. Ich bin Euer Leibgardist, aber nicht Euer Reitknecht!«
    »Well, so sattle ich es mir selbst!«
    Er that dies, stieg auf und ritt, geführt von dem wohlbewaffneten Wilson, ohne jede Art von Bewehrung in den Wald hinein. Sie kamen an eine Art Kanal, durch welchen der Büffelsee seine Wasser dem rothen Flusse zuführte. Hier stand eine Riesenceder, welche der Engländer lange und von allen Seiten betrachtete.
    »Master Wilson!«
    »Sir Wallerstone!«
    »Errichten wir den Feldstuhl hier an dieser Stelle! Ich will den Baum in meine Mappe zeichnen!«
    »Thut es! Ich werde einstweilen die Umgegend absuchen, ob Ihr auch sicher seid!«
    Nach einiger Zeit kehrte er zurück und legte sich neben der aufgeschlagenen Staffelei in das Gras. Der Engländer zeichnete, und der Amerikaner träumte. Dabei entging dem letzteren aber nicht das geringste Geräusch, welches auf das Nahen eines feindlichen
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