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Der Waldläufer

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Karl May
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er nichts weiter gab als einen Mövenschrei. Hatte ich nicht ein Recht zum Schlafe, Sennor Lukas Despierto?«
    »Diabolos! Hast Du den Brief noch?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In meiner Wohnung.«
    »Ich muß ihn sehen!«
    »Schön, Herr Hauptmann! Aber darf ich ihn vielleicht vorher dem Alkalden Don Ramon Cohecho zeigen?«
    Der Hauptmann dämpfte seine vorher so zornige Stimme zum leisen, vertraulichen Flüstern.
    »Pepe, Du weißt, daß ich immer große Stücke auf Dich gehalten habe!«
    Der Miquelete gähnte.
    »Und ebenso gut weißt Du, daß ich Dein Vorgesetzter bin, dem Du nichts vorenthalten darfst. Wenn also auf dem Schlosse ein Unglück geschehen sein sollte, so –«
    »So kostet es mich den Kopf mit sammt dem Halse!«
    »Eigentlich ja; aber ich werde Dir meine ganze Protektion zuwenden und Alles für Dich thun, was in meinen Kräften steht!«
    »Sie sollen ihn erhalten!«
    »Aber vor dem Alkalden!«
    Pepe mußte ungeheuer schläfrig sein; er gähnte wieder und zwar mit solchem Nachdrucke, daß es dem Hauptmann angst zu werden schien.
    »Nun?«
    »Herr Hauptmann, ich habe zwei Vorgesetzte, Sie und den Alkalden. Ich glaube, der Brief gehört dem letzteren; doch muß ich bis zur Morgenablösung in der Ensenada bleiben, und wenn bis dahin das Schreiben aus meiner Hütte verschwindet, so kann ich nicht weiter davon sprechen.«
    »Gut, mein lieber Pepe. Wo liegt es? Du hast es doch wohl verwahrt?«
    »Ich glaube, es muß sich in der Tasche meines Pantalons befinden.«
    »Das ist allerdings kein geeigneter Platz für einen so wichtigen Gegenstand! Du hast es gelesen?«
    »Ja.«
    »Du kannst also lesen?« klang die höchst verwunderte Frage.
    »Ein wenig, Herr Hauptmann.«
    »Wo hast Du es gelernt?«
    Der Küstenwächter war zum Umsinken müde; er gähnte mit einer Ausdauer, als habe er Monate lang ununterbrochen zu wachen gehabt, und dazwischen heraus klang es aus dem weitgeöffneten Munde:
    »Im – Schla – fe, – Herr – Haupt – mann!«
    »Im Schlafe?« frug der so eigentümlich Berichtete mit nur mühsam unterdrücktem Aerger.
    »Ja. Es hat mir geträumt, ich war im Kloster und mußte studiren, weil ich Prior und dann Großinquisitor werden sollte.«
    »So schlafe fort, Pepe, vielleicht wirft Du es wirklich! Jetzt aber muß ich gehen und die kriminale Anzeige machen, damit der Thatbestand aufgenommen und der Untersuchung zu Grunde gelegt werde. Sorge dafür, daß weder an der Leiche noch an den zwei Paketen etwas verändert wird. Also, als Du erwachtest, war das Boot da und Du fandest es leer; merke Dir das!«
    Er verschwand in der Dunkelheit, Pepe lauschte seinen Schritten, bis sie in der Entfernung verklungen waren.
    »Santa Lauretta, wird der Hauptmann in den alten Pantalons suchen! Und doch habe ich ihm die reine Wahrheit gesagt, denn der Brief steckt wirklich darin, aber nicht in denen, die am Nagel bangen, sondern in denen, die ich hier an den Beinen habe. Und was meinen Kopf betrifft, so glaube ich, daß er noch fester sitzt als derjenige des braven Don Lukas Despierto, der das Lesen nicht im Schlafe gelernt hat. Jetzt aber muß ich dafür sorgen, daß der Ring keinen Liebhaber findet, der mir an den Kragen kann.«
    Er trat zu einem im Sande liegenden Felsblock, dessen Gewicht mehrere Zentner betragen mußte. Ein Menschenkind schien gar nicht im Stande zu sein, ihn ohne Anwendung mechanischer Hilfsmittel bewegen zu können. Pepe aber stemmte sich dagegen, lüftete ihn ohne sichtbare Anstrengung, legte den Ring darunter und ließ ihn dann wieder in seine vorige Lage gleiten. Der Miquelete besaß eine Körperkraft, die ihn auch dem stärksten Manne zu einem ebenbürtigen Gegner machen mußte. Dann legte er sich nieder, wickelte sich in seinen Mantel und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
    Um diese Zeit lief eine alte Frau in höchster Eile durch Elanchovi und klopfte an den Laden einer höchst armseligen Baracke, welche am Ende des Dorfes lag.
    »Don Gregorio, Sennor Eskribano, steht auf, steht auf; es sind fürchterliche Dinge geschehen!«
    Im Innern der Hütte ließ sich das Schnaufen und Stöhnen eines aus dem Schlaf Erwachenden und dann eine fragende Stimme vernehmen.
    »Wer ist draußen?«
    »Ich bin es, Nikolosa, die Wirthschafterin von Don Ramon, dem Alkalden!«
    Da wurde das Fenster geöffnet, der Laden aufgestoßen und ein Kopf erschien in der Oeffnung.
    »Seid Ihr es wirklich, Donna Nikolosa?« frug der so aus dem Schlafe Gestörte mit jener spanischen Höflichkeit, mit welcher zwei
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