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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter
Autoren: Dean R. Koontz
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Kummer , Gram oder Bedauern reichen ebenfalls nicht aus. Aber du hast Unrecht, wenn du meinst, das richtige Wort nicht zu kennen, Dunny. Du hast es einmal gelernt, und du kennst es noch immer, obgleich es bisher ein Gefühl jenseits deiner Erfahrung gewesen ist.«
    Er liebt diese Stimme so sehr, dass er nicht ewig den Blick von der Gestalt abwenden kann, die da mit ihm spricht. Deshalb wappnet er sich für die Entdeckung, dass diese sanfte Stimme aus einem Gesicht kommt, das so grässlich wie das von Typhon ist, aber als er nun den Kopf hebt, stellt er fest, dass Hannah noch genauso schön aussieht wie damals, als sie noch am Leben war.
    Auf diese Überraschung folgt eine zweite: Er hat die Bewegung des Aufzugs falsch eingeschätzt. Sie fahren nicht in eine Dunkelheit hinab, die noch tiefer ist als die sichtbare Dunkelheit; sie fahren nach oben.
    Die Wände sind nicht mehr mit Dreck und Schimmel überzogen, und die Luft stinkt auch nicht mehr.
    Verwundert fragt Dunny, der noch nicht recht zu hoffen wagt: »Wie ist das möglich?«
    »Worte sind alles, Dunny«, sagt Hannah. »Sie haben Bedeutung, und dadurch haben sie auch Kraft. Wenn man dem Kummer sein Herz öffnet, wenn man durch Kummer zu bedauern lernt, und wenn sich dann ein Gefühl der Beschämung einstellt, dann kommt als Nächstes die Reue, und das ist das Wort, das deine jetzige Pein ausdrückt. Es ist ein Wort von gewaltiger Kraft, Dunny. Wenn du dieses Wort ehrlich in deinem Herzen trägst, dann ist keine Stunde zu spät, keine Finsternis ewig und kein blödsinniger Pakt bindend für einen Menschen, der sich so verändert hat wie du.«
    Sie lächelt. Ihr Lächeln ist strahlend.
    Dieses Gesicht.
    Ihr Gesicht ist wunderschön, doch sieht er darin auch noch ein anderes Gesicht, wie auch Typhon zwei Gesichter hatte, nur dass dieses Gesicht nicht aus einem Destillat von Albträumen stammt. So unmöglich das zu sein scheint, dieses Gesicht – das Gesicht – ist noch schöner als ihres. Es ist der Ursprung ihres Strahlens, und es ist so tiefgründig schön, dass es ihm den Atem verschlagen würde, wäre er nicht ein Geist, der mit dem Verlust seines Körpers das Atmen aufgegeben hat.
    Dieses Gesicht einer grenzenlosen, vielschichtigen Schönheit ist auch das Gesicht einer Gnade, die er selbst jetzt, da er hinaufsteigt, nicht ganz begreifen kann, für die er jedoch unsäglich dankbar ist.
    Und noch eine Überraschung: An Hannahs Miene sieht er, dass sie in ihm dasselbe leuchtende, Ehrfurcht gebietende Gesicht erkennt, das er in ihr sieht. In ihren Augen strahlt er offenbar ebenso sehr wie sie in seinen.
    »Das Leben ist ein langer Weg, Dunny, selbst wenn es unversehens verkürzt wird. Ein langer und oft steiniger Weg. Aber das liegt jetzt hinter dir.« Sie grinst. »Mach dich bereit für eine neue, bessere Reise. Mann, du hast ja keine Ahnung, was dich erwartet!«
    Ping !

96
    Seite an Seite standen Ethan und Fric am Fenster des Salons im ersten Stock, der aus Gründen, die nur farbenblinden Zeitgenossen verborgen blieben, als »Grünes Zimmer« bezeichnet wurde.
    Ming du Lac war der Meinung, ein derart großes Haus könne keinen Ort der spirituellen Harmonie darstellen, wenn nicht ein Raum vollständig in Grüntönen möbliert und dekoriert sei. Die Fengshui-Spezialistin stimmte mit diesem Dekret überein, vielleicht weil etwas Ähnliches auch in ihrer eigenen Lebensanschauung enthalten war, aber wahrscheinlich eher, weil sie sich davor hütete, Ming zu widersprechen.
    Sämtliche Grüntöne, in denen die Wände, die Polster, der Teppich und die Oberflächen der Möbel erstrahlten, hatte Ming im Traum gesehen. Was irgendwie die Frage aufwarf, was er vor dem Zubettgehen wohl gegessen hatte.
    Mrs. McBee bezeichnete das Zimmer als »grausige Moosgrotte«, allerdings nur, wenn Ming nicht in Hörweite war.
    Jenseits des Fensters bot der ausgedehnte Garten schönere Grüntöne, und darüber breitete sich ein herrlich blauer Himmel aus, aus dem selbst die Erinnerung an Regen verschwunden war.
    Von ihrer Warte aus konnten die beiden das Gartentor sehen und die Medienmeute auf der Straße dahinter. Sonnenlicht glänzte auf Personenwagen, Kleinbussen und den Übertragungswagen der Fernsehsender mit ihren Satellitenschüsseln auf dem Dach.
    »Das wird ein Zirkus«, sagte Fric.
    »Das wird ein Karneval«, sagte Ethan und nickte.
    »Das wird ein Spektakel.«
    »Das wird ein Kuriositätenkabinett.«
    »Das wird wie Halloween am Weihnachtsabend«, sagte Fric, »wenn man sich
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