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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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Boom-Sektor mit rapide wachsender Nachfrage.
    Adrian entschied sich also für die Marktnische und benannte sein Unternehmen um. Die Adrian X-Ray Shoe Fitter Company konnte sich nicht nur in den USA, sondern auch international einen gehörigen Anteil des Marktes sichern, auch weil Adrian ständig weitere, kompaktere Modelle nachschob und sich die neuen, schlanken Bauformen patentieren ließ.
    Damit ließen sich die Füße in den neuen Schuhen nun direkt im Verkaufsladen durchleuchten – bis Anfang der Fünfzigerjahre unter völligem Verzicht auf solche Kleinigkeiten wie Strahlenschutz. Füße röntgen war »in«, und kein Mensch dachte an mögliche Folgen. Das Fluoroskop war so populär, dass es Schuhhändlern anfänglich vor allem als verkaufsfördernde Maßnahme empfohlen wurde – wie sich herausstellte, zu Recht. Gerade Kinder konnten sich dafür begeistern, aber eben auch deren Eltern. »Das haben die damals vor allem bei Kinderschuhen gemacht, und bei Babyschuhen immer«, erzählt meine Mutter heute. »Ihr Kleinen konntet ja nicht sagen, wo es drückt.«
    Den letzten Apparat sah ich 1972, kurz nach dem Umzug unserer Familie an den Niederrhein. Ich erinnere mich daran, wie ich in einem Laden dort versuchte, eine solche Maschine zu aktivie-ren – vergeblich, denn sie hatte keinen »Saft« mehr. Einige Monate noch stand der mit hübschen Kinderaufklebern verzierte Apparat strahlend weiß lackiert in dem Laden. Eines Tages war er dann einfach verschwunden.

Nachwort:
Fische für die Seine
    Im Frühjahr 1891 berichtete L’Illustration über eine so ungewöhnliche wie umstrittene Aktion: Anfang Mai wurden auf Geheiß der französischen Regierung 40.000 Jungfische in der Seine bei Paris ausgesetzt. Der Fischnachwuchs kam aus einer eigens angelegten Zucht und bestand aus kanadischen Varianten von Lachs und Forelle. Die Aktion wurde zum viel beachteten Spektakel. Nie zuvor hatte man versucht, einen Fluss, dem die Fischbestände abhanden gekommen waren, mit Zuchtfischen wiederzubeleben.

    Denn genau das war die Ausgangssituation, die uns heute so vertraut erscheint. Überall in der westlichen Welt hat man in den letzten 30 Jahren Ähnliches versucht, nachdem viele Flüsse dort zu vergifteten, leblosen Abwasserwegen geworden waren. Die »Renaturierung« der Umwelt, die wir seit Beginn der Industrialisierung stärker verändert haben als in all den Millionen Jahren davor, liegt uns am Herzen, ist uns zutiefst sympathisch. Schön zu sehen, wie früh diese Versuche begonnen haben.
    Umstritten war die Pariser Aktion dennoch, weil sich Beamte des französischen Staats in der Sache übergangen fühlten. Über das Für und Wider und das genaue Vorgehen gab es Streit, der schließlich durch das Machtwort eines einflussreichen Mannes entschieden wurde, um nicht zuletzt bei der Öffentlichkeit zu punkten. Die Fischaussetzung war populär, die Seine zu dieser Zeit nämlich tatsächlich weitgehend leblos.
    Erst im unmittelbar zurückliegenden Winter waren die Fischbestände vernichtet worden – durch eine Rücksichtslosigkeit, die im krassen Gegensatz zu der Sorgfalt stand, mit der anschließend die Wiederbelebung des Flusses versucht wurde. Auch diese Sorgfalt wirkt modern: Die Jungfische hatte man in aktiv mit Sauerstoff versorgten, temperierten Behältern transportiert, deren Temperatur man erst dem Flusswasser anglich, bevor man die Jungfische ins Wasser entließ. Jeder Schock sollte vermieden werden, denn dass Fische mitunter sensibel auf Schocks reagieren, hatte man erst wenige Monate vorher eindrucksvoll beobachten können: Die Fischbestände der Seine waren fast vollständig vernichtet worden, als man versuchte, den Fluss für die Schifffahrt eisfrei zu halten. Das hatte dank einer nagelneuen Erfindung auch ganz prächtig funktioniert, mit ihr ließ sich das Eis vor den Schiffen einfach aufsprengen: Dynamit.
    Danach war also Fisch-Nachschub aus Kanada vonnöten. Ich habe am Ende dieses Buchs das Gefühl, dass sich seitdem relativ wenig geändert hat. Die Frage, die bleibt, ist diese: Über welche unserer Entscheidungen, Marotten, Irrwege und fatalen Irrtümer werden unsere Nachfahren in 100 Jahren lachen, sich wundern oder grausen? Der Blick zurück lässt vermuten, dass wir gerade dabei sind, nicht weniger Böcke zu schießen als die Generationen vor uns. Und jeder davon wird etwas über uns aussagen …

QUELLVERZEICHNIS
    Bellamy, Edward: Looking Backward. New York: Dover Publications, 1996 (Neuauflage der Erstausgabe
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