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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene
Autoren: Franz Kafka
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Die Frau lief immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, daß ihre Tochter unwohl war und sie deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung von dreißig Mietern allein besorgen mußte. Nun war noch überdies der Ofen schadhaft, das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei riesigen Töpfen wurde eine dicke Suppe gekocht und wie oft die Frau auch sie mit Schöpflöffeln untersuchte und aus der Höhe herabfließen ließ, die Suppe wollte nicht gelingen, es mußte wohl das schlechte Feuer daran schuld sein und so setzte sie sich vor der Herdtüre
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    fast auf den Boden und arbeitete mit dem Schürhaken in der glühenden Kohle herum. Der Rauch von dem die Küche erfüllt war, reizte sie zum Husten der sich manchmal so verstärkte, daß sie nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als hustete. Öfters machte sie die Bemerkung, daß sie das Frühstück heute überhaupt nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit noch Lust habe. Da Karl und Robinson einerseits den Befehl hatten, das Frühstück zu holen, andererseits aber keine Möglichkeit es zu erzwingen, antworteten sie auf solche Bemerkungen nicht, sondern blieben still sitzen wie zuvor.

    Ringsherum auf Sesseln und Fußbänkchen, auf und unter den Tischen, ja selbst auf der Erde in einen Winkel
    zusammengedrängt stand noch das ungewaschene
    Frühstücksgeschirr der Mieter. Da waren Kännchen in denen sich noch ein wenig Kaffee oder Milch vorfinden würde, auf manchen Tellerchen gab es noch Überbleibsel von Butter, aus einer umgefallenen großen Blechbüchse war Cakes weit herausgerollt. Es war schon möglich aus dem allen ein Frühstück zusammenzustellen, an dem Brunelda, wenn sie seinen Ursprung nicht erfuhr, nicht das geringste hätte aussetzen können. Als Karl das bedachte und ein Blick auf die Uhr ihm zeigte, daß sie nun schon eine halbe Stunde hier warteten und Brunelda vielleicht wütete und Delamarche gegen die Dienerschaft aufhetzte, rief gerade die Frau aus einem Husten heraus – während dessen sie Karl anstarrte –: "Ihr könnt hier schon sitzen, aber das Frühstück bekommt ihr nicht. Dagegen bekommt ihr in zwei Stunden das Nachtmahl. "

    "Komm Robinson", sagte Karl, "wir werden uns das Frühstück selbst zusammenstellen. " "Wie? " rief die Frau mit geneigtem Kopf. "Seien Sie doch bitte vernünftig", sagte Karl,
    "warum wollen Sie uns denn das Frühstück nicht geben? Nun warten wir schon eine halbe Stunde, das ist lang genug. Man
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    bezahlt Ihnen doch alles und gewiß zahlen wir bessere Preise als alle andern. Daß wir so spät frühstücken ist gewiß für Sie lästig, aber wir sind Ihre Mieter, haben die Gewohnheit spät zu frühstücken und Sie müssen sich eben auch ein wenig für uns einrichten. Heute wird es Ihnen natürlich wegen der Krankheit Ihres Fräulein Tochter besonders schwer, aber dafür sind wir wieder bereit uns das Frühstück hier aus den Überbleibseln zusammenzustellen, wenn es nicht anders geht und Sie uns kein frisches Essen geben. "

    Aber die Frau wollte sich mit niemanden in eine
    freundschaftliche Aussprache einlassen, für diese Mieter schienen ihr auch noch die Überbleibsel des allgemeinen Frühstücks zu gut; aber andererseits hatte sie die Zudringlichkeit der zwei Diener schon satt, packte deshalb eine Tasse und stieß sie Robinson gegen den Leib, der erst nach einem Weilchen mit wehleidigem Gesicht begriff, daß er die Tasse halten sollte, um das Essen, das die Frau aussuchen wollte in Empfang zu nehmen. Sie belud nun die Tasse in größter Eile zwar mit einer Menge von Dingen, aber das Ganze sah eher wie ein Haufen schmutzigen Geschirrs, nicht wie ein eben zu servierendes Frühstück aus. Noch während die Frau sie hinausdrängte und sie gebückt als fürchteten sie Schimpfwörter oder Stöße zur Türe eilten, nahm Karl die Tasse Robinson aus den Händen, denn bei Robinson schien sie ihm nicht genug sicher.

    Auf dem Gang setzte sich Karl, nachdem sie weit genug von der Tür der Vermieterin waren, mit der Tasse auf den Boden, um vor allem die Tasse zu reinigen, die zusammengehörigen Dinge zu sammeln, also die Milch zusammenzugießen, die verschiedenen Butterüberbleibsel auf einen Teller zu kratzen, dann alle Anzeichen des Gebrauches zu beseitigen, also die Messer und Löffel zu reinigen, die angebissenen Brötchen geradezuschneiden und so dem ganzen ein besseres Ansehen zu
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    geben. Robinson
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