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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene
Autoren: Franz Kafka
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Beruf angeben, die Familie gehört im allgemeinen zur Aufnahmskanzlei des Man- nes, ich werde Sie dann zu den Kanzleien führen, wo zuerst Ihre Papiere und dann Ihre Kenntnisse von Fach- männern überprüf werden sollen – es wird nur eine ganz kurze Prüfung sein, niemand muß sich fürchten. Dort werden Sie dann auch gleich aufgenommen werden und die weitern Weisungen erhalten. Fangen wir also an. Hier die erste Kanzlei ist wie schon die Aufschrif sagt, für Ingenieure bestimmt. Ist vielleicht ein Ingenieur un- ter Ihnen?" Karl meldete sich. Er glaubte, gerade weil er keine Papiere hatte, müsse er bestrebt sein alle Formali- täten möglichst rasch durchzujagen, eine kleine Berech- tigung sich zu melden hatte er auch, denn er hatte ja Ingenieur werden wollen. Aber als die Burschen sahen, daß sich Karl meldete, wurden sie neidisch und meldeten sich auch, alle meldeten sich. Der Personalchef streckte sich in die Höhe und sagte zu den Burschen: „Sie sind Ingenieure?" Da senkten sie alle langsam die Hände, Karl dagegen bestand auf seiner ersten Meldung. Der Personalchef sah ihn zwar ungläubig an, denn Karl schien ihm zu kläglich angezogen und auch zu jung, um Ingenieur sein zu können, aber er sagte doch nichts wei- ter, vielleicht aus Dankbarkeit, weil Karl ihm, wenig- stens seiner Meinung nach, die Bewerber hereingeführt hatte. Er zeigte bloß einladend nach der Kanzlei und Karl gieng hin, während sich der Personalchef den an- dern zuwendete.
    In der Kanzlei für Ingenieure saßen an den zwei Seiten
    eines rechtwinkligen Pultes zwei Herren und verglichen zwei große Verzeichnisse, die vor ihnen lagen. Der eine las vor, der andere strich in seinem Verzeichnis die vorgelesenen Namen an. Als Karl grüßend vor sie hin- trat, legten sie sofort die Verzeichnisse fort und nahmen andere große Bücher vor, die sie aufschlugen. Der eine, offenbar nur ein Schreiber, sagte: „Ich bitte um Ihre Legitimationspapiere." „Ich habe sie leider nicht bei mir", sagte Karl. „Er hat sie nicht bei sich", sagte der Schreiber zu dem andern Herrn und schrieb die Antwort gleich in sein Buch ein. „Sie sind Ingenieur?" fragte dann der andere, der der Leiter der Kanzlei zu sein schien. „Ich bin es noch nicht", sagte Karl schnell, aber – " „Genug", sagte der Herr noch viel schneller, dann gehören Sie nicht zu uns. Ich bitte die Aufschrif zu beachten." Karl biß die Zähne zusammen, der Herr mußte es bemerkt haben, denn er sagte: „Es ist kein Grund zur Unruhe. Wir können alle brauchen." Und er winkte einem der Diener, die beschäfigungslos zwi- schen den Barrieren herumgiengen: „Führen Sie diesen Herrn zu der Kanzlei für Leute mit technischen Kennt- nissen." Der Diener faßte den Befehl wörtlich auf und faßte Karl bei der Hand. Sie giengen zwischen vielen Buden durch, in einer sah Karl schon einen der Burschen der bereits aufgenommen war und den Herren dort dan- kend die Hand drückte. In der Kanzlei, in die Karl jetzt gebracht wurde, war, wie Karl vorausgesehen hatte, der Vorgang ähnlich wie in der ersten Kanzlei. Nur schickte man ihn von hier, da man hörte, daß er eine Mittelschule besucht hatte, in die Kanzlei für gewesene Mittelschüler. Als Karl dort aber sagte, er hätte eine europäische Mit- telschule besucht, erklärte man sich auch dort für unzu- ständig und ließ ihn in die Kanzlei für europäische Mit- telschüler führen. Es war eine Bude am äußersten Rand, nicht nur kleiner sondern sogar niedriger als alle andern. Der Diener, der ihn hierher gebracht hatte, war wütend über die lange Führung und die vielen Abweisungen, an denen seiner Meinung nach Karl allein die Schuld tragen mußte. Er wartete nicht mehr die Fragen ab, sondern lief gleich fort. Diese Kanzlei war wohl auch die letzte Zu- flucht. Als Karl den Kanzleileiter erblickte, erschrak er fast über die Ähnlichkeit, die dieser mit einem Professor hatte, der wahrscheinlich noch jetzt an der Realschule zuhause unterrichtete. Die Ähnlichkeit bestand aller- dings, wie sich gleich herausstellte nur in Einzelheiten, aber die auf der breiten Nase ruhende Brille, der blonde wie ein Schaustück gepflegte Vollbart, der sanf gebeugte Rücken und die immer unerwartet hervorbrechende lau- te Stimme hielten Karl noch einige Zeit in Staunen. Glücklicherweise mußte er auch nicht sehr aufmerken, denn es gieng hier einfacher zu als in den andern Kanz- leien. Es wurde zwar auch hier eingetragen, daß seine Legitimationspapiere fehlten und der
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