Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
Kanzleileiter nannte es eine unbegreifliche Nachlässigkeit, aber der Schreiber, der hier die Oberhand hatte, gieng schnell darüber hinweg und erklärte nach einigen kurzen Fragen des Leiters, während sich dieser gerade zu einer größern Frage anschickte, Karl für aufgenommen. Der Leiter wandte sich mit offenem Mund gegen den Schreiber, dieser aber machte eine abschließende Handbewegung, sagte: „Aufgenommen" und trug auch gleich die Ent- scheidung ins Buch ein. Offenbar war der Schreiber der Meinung, ein europäischer Mittelschüler zu sein, sei schon etwas so schmähliches daß man es jedem, der es von sich behaupte, ohne weiteres glauben könne. Karl für seinen Teil hatte nichts dagegen einzuwenden, er gieng zu ihm hin und wollte ihm danken. Es gab aber noch eine kleine Verzögerung, als man ihn jetzt nach seinem Namen fragte. Er antwortete nicht gleich, er hat- te eine Scheu, seinen wirklichen Namen zu nennen und aufschreiben zu lassen. Bis er hier auch nur die kleinste Stelle erhalten und zur Zufriedenheit ausfüllen würde, dann mochte man seinen Namen erfahren, jetzt aber nicht, allzulang hatte er ihn verschwiegen, als daß er ihn jetzt hätte verraten sollen. Er nannte daher, da ihm im Augenblick kein anderer Name einfiel, nur den Rufna- men aus seinen letzten Stellungen: „Negro". „Negro?" fragte der Leiter, drehte den Kopf und machte eine Gri- masse, als hätte Karl jetzt den Höhepunkt der Unglaub- würdigkeit erreicht. Auch der Schreiber sah Karl eine Weile prüfend an, dann aber wiederholte er „Negro" und schrieb den Namen ein. „Sie haben doch nicht Ne- gro aufgeschrieben", fuhr ihn der Leiter an. „Ja, Ne- gro", sagte der Schreiber ruhig und machte eine Hand- bewegung, als habe nun der Leiter das Weitere zu veran- lassen. Der Leiter bezwang sich auch, stand auf und sagte: „Sie sind also für das Teater von Oklahama – ". Aber weiter kam er nicht, er konnte nichts gegen sein Gewissen tun, setzte sich und sagte: „Er heißt nicht Negro." Der Schreiber zog die Augenbrauen in die Hö- he, stand nun selbst auf und sagte: „Dann teile also ich Ihnen mit, daß Sie für das Teater in Oklahama aufge- nommen sind und daß man Sie jetzt unserm Führer vor- stellen wird." Wieder wurde ein Diener gerufen, der Karl zur Schiedsrichtertribüne führte.
       Unten an der Treppe sah Karl den Kinderwagen und gerade kam auch das Ehepaar herunter, die Frau mit dem Kind auf dem Arm. „Sind Sie aufgenommen?" fragte der Mann, er war viel lebhafer als früher, auch die Frau sah ihm lachend über die Schulter. Als Karl ant- wortete, eben sei er aufgenommen worden und gehe zur Vorstellung, sagte der Mann: „Dann gratuliere ich. Auch wir sind aufgenommen worden, es scheint ein gu- tes Unternehmen zu sein, allerdings kann man sich nicht gleich in alles einfinden, so ist es aber überall." Sie sagten einander noch „Auf Wiedersehn" und Karl stieg zur Tribüne hinauf. Er gieng langsam, denn der kleine Raum oben schien von Leuten überfüllt zu sein und er wollte sich nicht eindrängen. Er blieb sogar stehn und über- blickte das große Rennfeld das auf allen Seiten bis an ferne Wälder reichte. Ihn erfaßte Lust einmal ein Pferde- rennen zu sehn, er hatte in Amerika noch keine Gelegen- heit dazu gefunden. In Europa war er einmal als kleines Kind zu einem Rennen mitgenommen worden, konnte sich aber an nichts anderes erinnern als daß er von der Mutter zwischen vielen Menschen die nicht auseinander- weichen wollten, durchgezogen worden war. Er hatte also eigentlich überhaupt noch kein Rennen gesehn. Hinter ihm fieng eine Maschinerie zu schnarren an, er drehte sich um und sah auf dem Apparat, auf dem beim Rennen die Namen der Sieger veröffentlicht werden, jetzt folgende Aufschrif in die Höhe ziehn: „Kaufmann Kalla mit Frau und Kind". Hier wurden also die Namen der Aufgenommenen den Kanzleien mitgeteilt.
       Gerade liefen einige Herren lebhaf miteinander spre- chend, Bleistife und Notizblätter in den Händen die Treppe herunter, Karl drückte sich ans Geländer um sie vorbeizulassen und stieg, da nun oben Platz geworden war hinauf. In einer Ecke der mit Holzgeländern verse- henen Platform – das ganze sah wie das flache Dach eines schmalen Turmes aus – saß, die Arme entlang der Holzgeländer ausgestreckt, ein Herr, dem ein breites weißes Seidenband mit der Aufschrif: Führer der 0ten Werbetruppe des Teaters von Oklahama quer über die Brust gieng. Neben ihm stand auf einem Tischchen ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher