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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition)
Autoren: Clare Clark
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beginnen.

III
    D ie Büroräume von Joseph Bazalgette, dem leitenden Ingenieur des Londoner Amtes für öffentliche Bauvorhaben, und seiner Mannschaft von Ingenieuren, Vermessern und Zeichnern lagen in der Greek Street Nummer  1 in Soho. Von diesen bescheidenen Räumlichkeiten aus plante Bazalgette das vielleicht ambitionierteste Bauvorhaben im Bereich des zivilen Ingenieurwesens, das je in Angriff genommen wurde – die Konstruktion eines völlig neuen unterirdischen Abwassernetzes für die gesamte Stadt. Über die Dringlichkeit eines solchen Unternehmens herrschte absolute Einigkeit. Zwar waren auch schon frühere Stadtverwaltungen darangegangen, das Kanalnetz zu verbessern, aber das hatte immer wieder zu neuen Problemen geführt. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte sich jedes Haus seiner Exkremente mittels einer Senkgrube im Keller entledigt, die regelmäßig von Grubenräumern entleert wurden. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung in der Hauptstadt erwies sich dieses Verfahren jedoch als zunehmend unpraktisch und unhygienisch. Schließlich wurden sämtliche Senkgruben an einen Kanal angeschlossen, der das Abwasser sammelte und über einen Hauptstrang direkt in den Fluss leitete. In den nunmehr maroden und unterdimensionierten Kanälen vermischten sich menschliche Ausscheidungen mit den Abfällen der Schlachthäuser und Abdeckereien sowie den Abwässern von Gerbereien und Fabriken. All das strömte unablässig in die Themse. Bald wurde der Fluss selbst zur größten Senkgrube der Stadt. Bei Ebbe verfingen sich die Fäkalien und Abfälle an Brückenpfeilern oder sammelten sich zu stinkenden, gärenden Morasthaufen.
    London, die größte Metropole der Welt, vergiftete sich selbst, so lautete Mitte des Jahrhunderts die einhellige Meinung von Ärzten und Wissenschaftlern. Wenn die Abwässer in den Kanälen zusammenflossen, die in der Mehrzahl nichts anderes waren als offene Gräben, strömten sie hochgiftige Gase aus. Diese entwichen in die Atmosphäre, und mittels schlechter Luft und unsauberen Wassers gelangten die Gifte in Lungen und Mägen, wo sie vom Blut aufgenommen wurden und todbringende Krankheiten hervorriefen. Innerhalb von zehn Jahren war London von drei grausamen Choleraepidemien heimgesucht worden. Jedes Mal wütete die Seuche am schlimmsten in jenen Teilen der Stadt, wo Luft und Wasser besonders verpestet waren. Niemand zweifelte daran, dass etwas unternommen werden musste.
    Entschieden weniger leicht war es, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Bazalgettes Plan lief auf ein komplett neues Kanalnetz hinaus, mit dem die riesige, verunreinigte Fracht aus Senkgruben und Kloaken zu Austrittsöffnungen flussabwärts weit außerhalb der Stadt befördert werden sollte. Diesem Plan zufolge würden an die zweihundertvierzig Kilometer neuer Auffangkanäle benötigt, die von West nach Ost verliefen, drei davon nördlich des Flusses, zwei weitere im Süden. Da das tief liegende Themsebecken für einen effizienten Abfluss des Wassers ein zu geringes Gefälle besaß, wollte Bazalgette die Kanäle mit künstlichen Gefällstufen anlegen und an wichtigen Abschnitten dampfbetriebene Pumpstationen errichten, die das Wasser sechs Meter hochpumpen und dann unter Ausnutzung der Schwerkraft wieder freigeben würden. Die bereits bestehenden Abwasserkanäle hingegen sollten nicht nur erneuert, sondern durch Hunderte Kilometer lange Seitenkanäle ergänzt werden, welche die Hauptkanäle speisten, damit das Netz die halbe Million Gallonen Abwasser, die jeden Tag durch die Eingeweide Londons strömten, fortschaffen konnte. Die Fertigstellung der ganzen Anlage würde nach Bazalgettes Schätzung fünf Jahre dauern und die Stadt eine Summe in der Größenordnung von drei Millionen Pfund kosten.
    Doch die benötigten Gelder ließen auf sich warten. Das Parlament gewährleistete zwar den Fortbestand der Behörde, aber die Finanzierung von baulichen Verbesserungen oblag den Gemeindebezirken, die, entscheidungsschwach, endlos debattierten und alles hinauszögerten. Bazalgette wollte sich jedoch nicht entmutigen lassen. Nach und nach sammelte er eine Mannschaft von jungen Ingenieuren und Vermessern um sich, die sich mit einer zwangsläufig bescheidenen Entlohnung begnügten und unermüdlich an seiner Seite arbeiteten, um die zahllosen Pläne und Zeichnungen anzufertigen, die zur Durchführung seines Vorhabens nötig waren. Bazalgette hatte seine Freunde und Bekannten gebeten, ihm junge Männer zu nennen, die als Mitarbeiter geeignet
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