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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Autoren: Robert M. Talmar
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auf der Schmiedenlichtung.
    An einem eisernen Ausleger baumelte eine brennende Laterne im Wind, aber der Hof, die Werkstatt und das Wohnhaus lagen in tiefem Schatten.
    Sein Einspänner war verschwunden.
    Alle Fensterläden und Türen waren geschlossen, und als Finn den Hof überquerte und unter dem überhängenden Dach neben den Feuerholzstapeln verhielt, glaubte er von drinnen das abgehackte, dünne Schnarchen von bierseligen Vahitmündern zu vernehmen.
    »Heda!«, rief er und pochte ununterbrochen an die Tür. Ein Vogel unter dem Dachgebälk erschrak und schlug ängstlich mit den Flügeln. »Wach auf, Herr Abhro! Aufgestanden! Hörst du? Wacht auf!«
    Gepoltere, gefolgt von einem dumpfen Schlag, einem Schmerzenslaut und einem Wippen von Dielen, das klang, als hüpfe jemand auf einem Bein. »Dummer Stößel! So pass doch auf!« rief jemand, und eine andere Stimme krähte, noch lauter: »Ja, bei meiner Zange, was is’ denn? Mach nich’ solch ’nen Lärm!«
    Das wird sicher Abhro gewesen sein, nahm Finn an. Er grinste, hörte nicht auf mit seinem Pochen und rief weiter sein »Aufgestanden!«, bis nach durchdringendem Treppenknarren endlich die Tür aufgerissen wurde und ein Paar verschlafene und zugleich zornige Augen herausfunkelten.
    »Weißt du Traumtrampel eigentlich, wie spät es is’?«, bellte es in die Nacht hinaus. Abhro Rabner hielt eine brennende Kerze in der Hand und kratzte sich die nach allen Seiten abstehenden Haare. Eine beginnende Beule zeigte sich an seiner Stirn. Offenbar war er im Dunkeln mit einer Wand oder einem Balken zusammengestoßen. Er leuchtete mit dem Nachtlicht herum, bis er in seinem trüben Schein die Gestalt direkt vor ihm fand. Darauf starrte der Schmied Finn an, als habe er ihn noch nie gesehen. Nur langsam schlich sich müdes Erkennen in sein zerfurchtes Gesicht ein. »Ausgerechnet du bist’s, Herr Finn. Du meine Güte, machst du vielleicht einen Radau! Es is’ mitten in der Nacht!   – Weißt du überhaupt, wie spät es is’?«, fragte er abermals.
    »Nein«, erwiderte Finn. »Aber selbst wenn ich es wüsste, würde ich dich dennoch wecken. Es sind schlimme Dinge geschehen, und ich brauche deine Hilfe, Herr Abhro. Die deinige und die deiner Gesellen.«
    »Was denn für schlimme Dinge?«
    Abhros ausgiebiges Gähnen erinnerte Finn daran, wie müde er selber war. Es war dies die vierte Nacht in Folge, die er abwechselnd in kalten Höhlen, in Wäldern und auf feuchten Wiesen verbrachte; mehr als einmal bis auf die Haut durchnässt, meistens in Kämpfe um sein Leben verwickelt, oder er befand sich vor irgendwem auf der Flucht, anstatt in einem ordentlichen Vahitbett zu liegen und geruhsam zu schlafen, wie es sich gehörte.
    Und diese Nacht, das spürte er, war noch lange nicht zu Ende.
    »Es   … es ist jemand verletzt, Herr Abhro«, antwortete Finn. Noch getraute er sich nicht, dem Schmied die volle Wahrheit zu sagen. Dass der Verletzte das haarige Biest war, zum Beispiel; von der Windbarke wollte er schon gleich gar nicht reden. Er fürchtete vollkommen zu Recht, Abhro würde ihm einfach die Tür vor der Nase zuschlagen. So druckste er ein wenig herum und kam sich dabei vor wie ein sich windender Mooraal, der sich einem festen Zugriff entziehen will. »Es ist ein   … ein Freund von mir. Er hat fürchterliche Brandblasen. Es hat ein Feuer gegeben. Die ganzen Beine sind eine einzige Wunde, wenn du mich verstehst. Er liegt draußen in den Marschwiesen. Wir müssen gehen und ihn holen! Sonst fürchte ich um sein Leben.«
    »In den Marschwiesen?« Abhro zog die Stirn in bedenkliche Falten. »Was macht er denn da, dein Freund, das möchte ich mal wissen?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Finn. »Ich will sie dir gern erzählen, aber dafür ist jetzt nicht die Zeit. Wir müssen uns eilen.«
    »Na schön.« Der Schmied war alles andere als begeistert. Er trug noch sein Nachthemd und durchgewetzte Schlappen an den Füßen. »Ich versteh kein Wort von dem, was du eigentlich von mir willst. Aber wenn du Hilfe brauchst, wie du sagst, dann werd ich mal. Ich geh und zieh mich an. Du wartest hier. Und warte mal. Brandblasen, sagst du? An beiden Beinen? Wie gewaltig hat er denn bloß sein Lagerfeuer entfacht, dein Freund?«
    Er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und sah Finn plötzlich misstrauisch an. »Es ist doch nicht etwa dein Mädchen, das bei dir war, oder doch?«
    »Mein Mädchen?« Finn war einen Moment nicht bei der Sache. »Nein, nein, es handelt sich nicht um
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