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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient
Autoren: Renate Hartwig
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Rating gemäß Businessplan mittelfristiger Geschäftsplanungs-Performance.« Die notwendige Folge sei »ein radikaler Umbau der gesetzlichen Krankenversicherung«. Wie das aussehen soll, wird in groben Strichen skizziert: »Bisher: Einheitliches Leistungsversprechen bei Kassenvielfalt. Künftig: Vielfalt von Tarifen weniger Versicherungskonzerne. Bisher: Einheitliches Vertragsrecht (Kollektivvertrag) nach Sektoren. Künftig: Alle Anbieter medizinischer Versorgung konkurrieren gegebenenfalls gemeinsam als Konsortien um Zuschläge für regional begrenzte populationsbezogeneVersorgungsaufträge. Bisher: Pflichtmitgliedschaft (Versicherte Kollektivvertragspartner). Künftig: Präferenzentscheidung zwischen alternativen Clubs.«
    Kurzum: Die Krankenkassen sollen »Kaufhäuser« werden, mit einem verlockenden Sortiment. Diesen Firmen erklärt man schon mal das Geschäftsmodell; konsequenterweise ist von »Erfolgsfaktoren auf dem künftigen Gesundheitsmarkt und deren Innovationspotential« die Rede. Offen ist die Rede von »Wettbewerbselementen«; man spricht über »günstige Sonderangebote für interessante Risikogruppen«. Nun fragen Sie sich, lieber Leser, bitte, was ich mich frage: Was ist eine »interessante Risikogruppe«? Sind das vielleicht Menschen mit Krankheiten, bei denen man ein gutes Geschäft machen kann?
    Es ging in der Folge in schönster Offenheit um Arzneimittelrabattverträge, um Benchmarking, um strategische Ziele, um Regelbindung der Anbieter und um selektive Verträge mit Vertragsärzten und Krankenhäusern. Aber vor allem ging es um die Auflösung der Sektoren, um den Wegfall des Vertragsmonopols der kassenärztlichen Vereinigung, um das Öffnen der Krankenhäuser, um neue Versorgungsstrukturen, die den Konzentrationsprozess fördern sollen, z. B.: MVZ, Kapitalgesellschaften usw. Interessant der Punkt »Hintergrund der Reformagenda«. Hier war klar zu lesen, dass die Tarifmanager der Krankenkassen wie Fondsmanager agieren müssten: »Sie erwerben für ihre Versicherten Regionalversorgungszertifikate (Anrechte auf Behandlung) per Ausschreibung!«
    Im Klartext: In Zukunft soll das Recht, Sie zu behandeln, auf dem Markt gehandelt werden. Und seien Sie sicher, lieber Leser, die, die dabei den Finger heben, heißen nicht Dr. X oder Dr. Y. Irgendeine Gesellschaft – die Barmer, die AOK, aber warum nicht auch Siemens, Gazprom oder Pirelli? – erwirbt für ein Heidengeld das Anrecht, Sie zu behandeln. Und weil das schon mal ein bisschen teuer war und die Aufsichtsräte dieser Wirtschaftsunternehmen gewisse Renditeerwartungenhaben,wird gespart, was das Zeug hält. Mich wundert in diesem Zusammenhang nur, dass auf dem Kongress niemand über den Einsatz von 400-Euro-Kräften im Gesundheitswesen referierte.
    Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine persönliche, prophetische Anmerkung: Es wird das zentrale Problem der Gesundheitsstrategen in den nächsten zehn Jahren sein, dass sie den Leuten, während der Zug schon den Berg herunterdonnert, noch rasch erklären müssen, wohin die Reise geht. Dieser Art von Politik sind die Wähler in Bayern schon einmal in Beine gesprungen – mit dem Effekt, dass der unsägliche Gesundheitsfonds, der nur einen kapitalen Bock durch einen noch größeren ersetzen will, in weite Ferne gerückt ist. Es gibt eine Notbremse, und die hängt in der Wahlkabine! Das hat die Landtagswahl in Bayern mehr als deutlich gezeigt, wo es unter anderem um die Gesundheitspolitik ging.
    Montag, 15. September 2008, Marktoberdorf im Ostallgäu. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf Wahlkampftour bei der Landbevölkerung. Ungefähr 50 Personen, darunter einige v.erdi-Mitglieder in Protest-T-Shirts, waren außer uns gekommen. Auf unsere Bürgerpatienten-Stammtische ist Verlass. Sie waren ebenfalls zugegen.
    Als ich das Foyer betrat, verzog sich das Gesicht des zuständigen SPD-Organisators; er kam sofort auf mich zu, um mir mitzuteilen, dass nur
eine
Frage an die Ministerin gestattet sei. Außerdem bat er mich, auf keinen Fall ein Co-Referat zu halten. Ich informierte ihn, dass ich als Bürgerin da sei und nicht vorhätte, ein Co-Referat zu halten. Dass ich mich außerdem bis heute noch nicht entschieden hätte, welche Partei ich wählen würde, und dass die Veranstaltung doch eine SPD-Wahlveranstaltung sei!
    Die Ministerin verspätete sich und wurde beim Eintreffen allem Anschein nach von dem rührigen SPD-Mann über die Anwesenheit unseres Bürgerpatienten-Stammtischs und meiner Person und ca. 15
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