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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Autoren: Robert M. Talmar
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9. September des Jahres 710 n.   d.   D. wurde er nämlich volljährig, und der lag nur wenige Monate in der Zukunft. Von diesem Tag an war seine Tubertel vorüber. Spaß und verhältnismäßige Freiheiten waren damit dahin. Was aber am schlimmsten war: Er besaß   noch immer nicht die geringste Vorstellung davon, was er mit seinem Leben anfangen sollte, befürchtete allerdings in seinem Herzen, dass dieses nicht aus Glas war und dass keine Tinte hindurchfloss.
    In den Wochen und Monaten nach dem Alvain-Fest bedrückte ihn seine Unentschlossenheit immer mehr, und je näher sein großer Tag kam, umso unwohler wurde ihm. Denn ihm war nur zu klar: Ein Vahit, der nicht arbeitete und somit nach seiner Tubertel nichts zum Wohle der Gemeinschaft beitrug, wurde von niemandem im Hüggelland wohlgelitten.
    Also lief für ihn alles auf eines hinaus. Er würde etwas wählen müssen, was er nicht wählen wollte. Anders gesagt: Da er nicht wusste, was er wollte, blieb ihm keine Wahl. Eine weitere Bedenkzeit zu erbitten, war völlig unmöglich   – schon die Frage danach hätte ihm nur Unverständnis und den Zorn aller Älteren eingebracht. Er würde in den sauren Apfel beißen müssen, und schon am Tag darauf seine Lehre in der Tintnerey beginnen, ob er nun wollte oder nicht.
    Er versuchte schon lange, sich selbst von den guten Seiten des Lebens als Tintner sowie irgendwann des Lebens als Besitzer der besten Tintnerey des Hüggellandes zu überzeugen. Es wäre das Leben eines wohlhabenden Vahits, bar jeder Sorgen um Ein- und Auskommen dank des Vaters fleißiger Vorarbeit. Finn erkannte seines Vaters Geschäftssinn neidlos an: Alle Vahits schrieben gerne (und häufig), schon aus diesem Grund war die fokklinsche Kunst des Papierschöpfens eine sichere Einnahmequelle.
    Doch würde es ihm wirklich gelingen, in die Fußstapfen zu treten? Es ermangelte Finn einiger Fähigkeiten und Wesenszüge seines Vaters, da machte er sich nichts vor. Zuvorkommenheit, Höflichkeit und Dienstbarkeit gehörten zu Furgos Verkaufsgebaren so untrennbar dazu wie Leim, auf den sich die Fliegen setzten. Seine Freigebigkeit war weithin bekannt und wurde allgemein geschätzt,wenn die Leute auch nicht verstanden, wieso er sie manchmal mit einem großzügigen Nachlass bedachte oder ihnen statt einem halben Dutzend Tintenfläschchen (wie bestellt) gleich deren sieben mitgab, obwohl er ihnen nur sechs berechnete. Was seine Kunden indes für Freigebigkeit hielten (und was breite Zufriedenheit auf ihre Gesichter zauberte), war scharfe Berechnung. Furgo wog die Gelder, die er ausgab, stets genau daraufhin ab, ob sie ihm irgendeinen Vorteil brächten oder nicht. Bisher hatte er aus diesem Gebaren reichlich Nutzen gezogen   – satten Gewinn, um es beim Namen zu nennen.
    So genau Finn seinen Vater auch kannte und dessen Verhalten hätte vorhersagen können, so genau er sich auch dessen bewusst war, wie sehr sein eigenes, sorgenfreies Leben von genau diesem Geschäftssinn ermöglicht wurde; so klar war ihm auch, wie wenig ein solches Geschäftsgebaren ihm selber und in ihm selber begründet lag.
    Er und in die Fußstapfen seines Vaters treten? Er holte tief Luft. Es fühlte sich an wie   … wie damals, als er als Kind in des Vaters viel zu große Stiefel geschlüpft war: Schon nach wenigen Schritten war er gestolpert und auf die Nase gefallen.
    »Ich sage ja   – und meine nein!«, dachte er in nicht gelinder Verzweiflung; und er wünschte sich, er wäre Manns genug und imstande gewesen, mit seinem Vater über seine eigenen tiefsten Wünsche und Sehnsüchte zu sprechen. Doch daran war überhaupt nicht zu denken. Eines Tintners Herz besteht aus Glas, dachte er schwermütig. Es war einerseits hart, konnte andererseits aber auch leicht in tausend Scherbenstücke zerspringen. Und genau das würde es, dessen war sich Finn sicher.
    Bei allem düsteren Nebel und den dunklen Gedanken, die ihn umfingen, war ihm zumindest dieses völlig klar: Nunmehr drohte auch ihm der sogenannte Ernst des Lebens, was immer das für ihn auch heißen mochte.

    An seinem Geburtstag hieß es für ihn vor allem zunächst dies: ununterbrochenes Händeschütteln und endloses Wiederholen sämtlicher Abwandlungen von »Vielen Dank« und »Nett, dass du fragst, ja, es geht mir gut«, die er nur kannte.
    Furgo hatte schon Wochen zuvor Einladungen in alle Himmelsrichtungen verschickt. An alle Freunde, Verwandte (sogar die Muldweiler-Fokklins), die wichtigsten Kunden (vor allem an die) sowie an
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