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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Autoren: Robert M. Talmar
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dieser Teil des weiten Landes war ihm noch fremd, die anderen Gebiete, vor allem die fernen Städte, hatte er seit Jahren erkundet. Alles war bereitet, und alle waren bereit.
    Ein glitzernder Flusslauf mahnte ihn zur Vorsicht, die Wasser rauschten schwindelerregend unter ihm vorbei. Etwas mehr nach links lenkte er nun die Zügel, und sein rabenschwarzes Reittier, dessen Augen noch um ein Vielfaches schärfer waren als seine eigenen, folgte. Tiefer jetzt glitten sie über die verlassenen Lande. Felsen und Dornengestrüppe schossen pfeilgleich unter ihnen dahin, selber Schatten in dieser mondlosen Nacht, die alle Schatten willkommen hieß.
    Da erblickte der Dunkle das Zeichen. Flackernde Fackeln und doch nur Nadelstiche im stockdunklen Tuch der Landschaft unter ihm. Ein mattes Widerscheinen wie von hellen Wällen huschte vorbei   – dann zog er am Zügel, senkte so den Kopf des aufgeregten Tieres. Dumpfes, trommelndes Trampeln, das alsbald verstummte; Schemen und Schatten verschmolzen jäh mit der Schwärze der Nacht und dem Grau des grasbewachsenen Bodens. Die Fackeln erloschen zischend. Leise Stimmen, das Nötigste flüsternd. Dann lauschende Ruhe, von seiner Hand geboten.
    Stille kehrte ein, übermalt nur vom leisen Rauschen des Flusses.
    Wolken jagten. Wind wehte.
    Ein Schaf in der Nähe blökte.
    Unruhige Schnäbel wetzten sich.
    So sollte es also beginnen.

1 . KAPITEL
    Der große Tag
    A LTHERGEBRACHT WAR EINE R EDE des Hüggellands, und sie hatte sich Finn Fokklin seit frühester Kindheit eingebrannt:
    » Eyn wahrer und kundiger Tintner besitzet ein Herz aus gehärtetem Glas, darinnen Blut so dick und schwarz wie Tinte fließet. Schon aus berufunglichem Grunde wird dies allzeyt so sein.«
    Nun, sein Vater Furgo war zweifelsohne ein Tintner. Und ein wahrer dazu. Was andeutete, wie gut er war.
    Aber nicht allein das: Er war zudem der berühmteste Tintner seiner Zunft. Eben deshalb hieß man ihn einen Cuorderir , einen Kundigen. Diese Ehrenbezeichnung schied ihn von den übrigen Vahits, trennte ihn vom Stand der Gemeinen, den Mainerin , und das, obwohl er in seinem ganzen Leben kein einziges Buch geschrieben hatte, was für einen Cuorderir allerdings ausgesprochen ungewöhnlich war. Und, wie es schien, dachte er auch nicht daran, jemals eines zu schreiben.
    »Zeitvertrödelei!«, nannte er ein solches Ansinnen. Ein bemerkenswerter Ausspruch, wenn man bedachte, dass und wie gut er von Büchern und deren Herstellung seit fast einem Vierteljahrhundert lebte.
    Den Fokklins ging es ohne Frage gut. Sie bekleideten in der hüggelländischen Gesellschaft eine herausragende Stellung, und Furgos ganzer Ehrgeiz bestand darin, diesen Zustand zu bewahren. So, wie er das Handwerk bei seinem Vater Falang erlernt (und sein Wissen seitdem erheblich erweitert und verbessert) hatte, so gedachte er, die Werkstatt Fokklinhand samt ihres guten Namens eines schönen, guten Tages seinem Sohn Finnig zu vererben.
    »Der dritte Meister wirst du sein«, soll er schon bei Finns Geburt geflüstert haben, als ihm seine Schwägerin Ewerdine das schreiende Bündel zum ersten Mal in den Arm legte.
    Dieser eine schöne, gute Tag war indes noch fern, aber er rückte näher. Noch zeigte sich Furgo rüstig wie nur einer, aber in letzter Zeit ermahnte er sich immer häufiger, Finnig   – den alle außer ihm nur Finn riefen, eine Unsitte ohnegleichen!   – allmählich in die Geschäfte einzuführen. Mit Finns 28. Geburtstag schien ein guter Zeitpunkt dafür gekommen zu sein, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Nach seiner, Furgos, Ansicht bestand ohnehin überhaupt kein Zweifel daran: Sein Sohn würde begeistert sein, endlich in die väterlichen Fußstapfen zu treten. Und Finnig würde ein guter Lehrling sein, da war sich Furgo sicher.
    Furgos hervorragender Ruf und das Wissen um die Vortrefflichkeit seiner Waren hatten auch den letzten Winkel erreicht, selbstverständlich auch Vahindema, den Hauptort des Hintergaus und zugleich des ganzen Hüggellandes. Gerade die amtierenden Schöffen schätzten besonders die fokklinschen Schriffersachen. Die Amtsbriefe im Land, soweit sie von der Hel ausgingen, der einzigen großen Halle im Hüggelland und das, was einem Verwaltungssitz am nächsten kam, waren samt und sonders auf bestem (und teuerstem) Fokklinhand-Papier geschrieben und trugen unter ihren Petschaftsstempeln den unverwechselbaren Glanz des grünen Siegellacks, den einzig und allein Furgos Werkstatt herzustellen in der Lage war. Seit Jahren war
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