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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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zusammen, ließ den Zettel in der Küche liegen und zog die Wohnungstür zu. Sie brauchte Abstand, um sich endlich darüber klar zu werden, wohin sie gehörte.
     
     
    Henrys Werben um sie war diskret.
    Beinahe verstohlen machte er Höflichkeitsbesuche, kam mit einer Mietdroschke und nicht mit seinem eigenen Zweispänner, den er eigenhändig lenkte, wenn er Spazierfahrten im Hyde Park machte. Spazierfahrten, von denen jeder wusste, weil er da nicht diese Diskretion walten ließ. Jeden Morgen aufs Neue kostete es sie große Überwindung, die Zeitung aufzuschlagen. Hatte sie bisher immer mit großer Neugier und Interesse die Klatschspalten überflogen, war ihr jetzt flau dabei, weil sie gar nicht wissen wollte, welche Dame er ausgefahren hatte, nachdem er bei ihr gewesen war.
    Ihre Mutter frohlockte.
    «Er ist ein Earl», erklärte sie, als sei damit jeder Zweifel ausgeräumt. Ein Earl hatte Interesse an ihrer Ältesten, das verhieß nur Gutes für die Jüngere, die noch hübscher war. Und für die ganze Familie, die nun Einladungen zu exklusiveren Bällen bekam, weil Henry darauf drängte. Dort jedoch tanzte er allenfalls einen Walzer mit Beatrix. Danach verschwand er wieder. Andere Männer buhlten um sie, weil es eben doch Gerüchte gab. Oder weil ihre Wangen so wunderschön erhitzt und gerötet waren nach nur wenigen Minuten in seinen Armen. Ein Walzer mit ihm verlieh ihr mehr Glanz, als es das schönste Kleid vermocht hätte.
    Er hielt genau den richtigen Abstand zu ihrem Körper ein, in jeder Minute. Sei es daheim im Salon, wo er neben ihr auf dem Sofa saß, ohne sie zu berühren, sei es beim Tanz, wenn seine Hand just dort ruhte, wo es nicht anstößig war, nicht zu tief, aber natürlich auch nicht zu hoch. Spazierte er mit ihr durch den Garten, hielt er die Hände hinter dem Rücken gefaltet und lauschte aufmerksam ihren Ausführungen zu den lächerlichen Themen, die ihr einfielen. Sie ertappte sich dabei, wie sie Sätze begann mit «Wenn ich erst verheiratet bin …», worauf er aufmunternd lächelte und bisweilen bemerkte, so lange könne das ja nicht mehr dauern. Sie sei so schön, jeder Mann müsse sich wünschen, um sie zu freien.
    Wochen um Wochen gingen ins Land, die Saison mit den Bällen und Gartenfesten, Musikabenden und Soireen neigte sich dem Ende zu. Der Herbst näherte sich, erste kühle Nächte wechselten mit Tagen, an denen die Sonne golden auf den bunten Blättern tanzte. Henry war auf dem Land und bereiste seine Güter. Der Blick in die Zeitung war wieder ohne jeden Schrecken.
    «Er ist ein Earl», sagte ihre Mutter weiterhin, und sie meinte damit: Lass es geschehen, wenn er dich will. Sieh darüber hinweg, falls er sich weiterhin Eskapaden leistet.
    Beatrix wartete.
    Es gab andere Verehrer. Einen jungen Juristen, vielversprechend und sehr aufmerksam. Er würde es weit bringen, sagte ihr Vater. Einen Geschäftsmann, der reich geerbt hatte und seinem Namen durch sie etwas Glanz verleihen wollte. Den dritten Sohn eines Baronets, verarmt und herzensgut. Ihn hätte sie sofort genommen, wenn die Umstände anders gewesen wären.
    Henry kam zurück nach London. Sein erster Besuch galt ihr, und sie erlebte ihn verändert. Das Verdorbene, Gelangweilte, das ihn stets umgab, war von ihm abgefallen und hatte einer frischeren, muntereren Ausgabe von ihm Platz gemacht. Schon bei seinem ersten Besuch lud er sie ein, ihn bei nächster Gelegenheit nach Trisk Hall zu begleiten.
    «Das wird meine Mutter nie erlauben!», sagte sie und spürte schon das Flattern im Unterleib, ehe er ihre Hand nahm und dort, auf dem Kiesweg unter den alten Eichen, erklärte, es müsse doch erlaubt sein, seiner Verlobten ihr neues Heim zu zeigen.
    «Wir haben viel Platz dort», meinte er. «Deine Mutter kann uns gern begleiten, wenn sie um deine Tugend fürchtet.»
    Dabei lächelte er. Als wüsste er nur zu genau, wie man jungen Mädchen die Unschuld raubte, selbst wenn die Mutter aufpasste.
     
    Verlobung feierten sie sechs Wochen später in der Londoner Residenz des Earl of Hartford. Die Hochzeit sollte schon im Januar folgen, so war es Henrys Wunsch. Beatrix’ Eltern beugten sich ihm, weil sie ihm jeden Wunsch erfüllt hätten. Der neue Glanz war für die Familie Lambton schon vorher spürbar gewesen, aber nach der Verlobung stiegen sie mit der Tochter auf in die höchsten Kreise.
    Und doch waren sie wie Fremdkörper in dieser neuen Welt.
    Beatrix stand beim Verlobungsempfang neben Henry und lächelte steif und blass. Zwei
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