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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer
Autoren: Charlotte Link
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Menschen dagewesen. Leona hatte eine ansehnliche Trauergemeinde erwartet, bei einer vergleichsweise so jungen Frau. Wenn Leute sehr alt starben, waren ihnen oft alle Freunde schon vorausgegangen; wenn sie weder Kinder noch Enkel hatten, mochte sich kaum jemand um ihr Grab scharen. Eva Fabiani war achtunddreißig Jahre alt gewesen! Da hatte man doch Freunde, Kollegen, Familie. Aber außer Frau Behrenburg und Leona war nur noch ein einziger Mensch anwesend, ein Mann, der sich als Evas Bruder vorstellte. Er mochte nur wenige Jahre älter sein als seine verstorbene Schwester. Er weinte nicht, wirkte aber wie versteinert vor Schmerz und schien zeitweise fast betäubt zu sein.
    Als die Friedhofsarbeiter das Grab zuzuschaufeln begannen und der Pfarrer gegangen war, trat er auf Frau
Behrenburg und Leona zu. Er schüttelte Frau Behrenburg die Hand.
    »Danke, daß Sie gekommen sind, Lydia«, sagte er, »und danke für alles, was Sie für meine Schwester getan haben. Ich weiß, daß Sie ein großer Halt für Sie waren.«
    Lydia Behrenburg wurde rot vor Stolz. »Es hat mir immer großen Spaß gemacht, mit Ihrer Schwester zusammenzusein. Ich habe ja niemanden auf der Welt. Ich werde sie so schrecklich vermissen.« Ihre Traurigkeit schien echt und tief. Sie stand am Grab wie ein Mensch, der seinen letzten Strohhalm fortschwimmen sieht und es noch kaum fassen kann.
    Wie viele einsame Menschen es doch gibt, dachte Leona betroffen.
    Evas Bruder wandte sich ihr zu. Er musterte sie aus kühlen, graugrünen Augen. »Robert Jablonski«, stellte er sich vor. »Ich bin Eva Fabianis Bruder.«
    »Leona Dorn«, sagte Leona. Zögernd fuhr sie fort: »Ich bin die Frau, die …«
    »Leona war als erste am Unfallort«, erklärte Lydia, »sie hat sich sofort um Eva gekümmert.«
    »Ich konnte im Grunde nichts tun«, korrigierte Leona und hatte den Eindruck, es hörte sich wie eine Entschuldigung an.
    Robert betrachtete sie prüfend. »Das hat Sie ziemlich mitgenommen, nicht?«
    Leona nickte. »Ich werde nicht richtig damit fertig.«
    Robert setzte seine Sonnenbrille auf, die er zur Begrüßung der beiden Frauen abgenommen hatte. Die dunklen Gläser machten ihn noch attraktiver.
    »Kommen Sie«, sagte er, »ich lade Sie irgendwo in ein Café ein. Lydia und Leona. Ich darf Sie so nennen? Wissen Sie, wo man hier hübsch sitzen kann?«

     
    Sie landeten, der Hitze des Julitages angemessen, in einem Straßencafé, saßen um einen kleinen Bistrotisch herum, zwischen lauter Menschen in Shorts und bunten T-Shirts, ein Mann im dunklen Anzug und zwei Frauen in schwarzen Kleidern, schwarzen Strümpfen und schwarzen Schuhen. Leona, die immer sehr auf ihre Figur achtete, bestellte nur Kaffee und Mineralwasser, Robert wählte einen Salat und Lydia einen gewaltigen Eisbecher. Sie bestritt den größten Teil der Unterhaltung, redete fast ohne Unterlaß, beschwor vergangene Zeiten mit Eva herauf. Lustige, traurige, eigenartige Episoden. Hier ein Erlebnis, dort eine Anekdote. Leona gewann den befremdlichen Eindruck, daß Eva Fabiani praktisch ihre gesamte Freizeit mit Lydia verbracht hatte. Zwar hatte sie Eva nicht gekannt, aber der kurze Blick in ihr Gesicht hatte ihr verraten, es mit einer kultivierten, komplizierten Frau zu tun zu haben. Lydia war nett, aber schlicht; eine biedere, betuliche Hausfrau, die etwas einfältig dreinblickte und über einen begrenzten Horizont verfügte. Leona, die sich schon nach zehn Minuten wie erschlagen fühlte von Lydias Geplapper, fragte sich, wie Eva das in dieser offensichtlichen Häufigkeit ausgehalten haben konnte. Sie hatte den Eindruck, daß Robert Jablonski Lydia nicht besonders mochte – obwohl er sie sehr höflich und zuvorkommend behandelte.
    Lydia machte eine Pause und hielt nach dem Kellner Ausschau, um sich ein zweites Eis zu bestellen. Leona nutzte die Gelegenheit.
    »Wohnen Sie auch in Frankfurt?« wandte sie sich an Robert.
    Er schüttelte den Kopf. »In Ascona. Am Lago Maggiore. «
    »In Ascona! Stammen Sie von dort? Eva auch?«
    »Wir sind Deutsche, sind aber in Ascona aufgewachsen.
Unsere Eltern hatten ein sehr schönes Haus dort. Eva heiratete dann und zog mit ihrem Mann hierher nach Frankfurt. Er ist Professor für Rechtsgeschichte an der Universität. «
    »Eigenartig, daß er nicht zu ihrer Beerdigung gekommen ist.«
    Lydia gab einen verächtlichen Laut von sich. »Das wundert mich gar nicht. Dieser Windhund! Als sie noch lebte, hat er sich auch nicht um Eva gekümmert. Warum sollte er es jetzt, wo sie
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