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Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
Autoren: H kan Nesser
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muss ...
    Ihm fiel nicht ein, was er musste. Vorsichtig schob er die Arme unter den Körper des Jungen, ging in die Knie und hob ihn hoch. Seine Lendenwirbel knackten, der Junge war schwerer, als er gedacht hatte, vielleicht machten dessen durchnässte Kleider sich bemerkbar. Falls er überhaupt etwas gedacht hatte. Warum hätte er es tun sollen? Der Rucksack war ein kleines Problem. Rucksack und Kopf, beide wollten immer wieder auf wirklich unmögliche Weise nach hinten kippen. Er registrierte, dass das Blut aus dem Mundwinkel in die Kapuze tropfte und dass der Junge höchstens fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein konnte. Ein Junge von fünfzehn, sechzehn ... ungefähr so alt wie Greubners Sohn. Das sah er an den ein wenig unfertigen Gesichtszügen, trotz der Verletzungen ... ein ziemlich gut aussehender Junge, nahm er an, würde zweifellos ein attraktiver Mann werden.
    Hätte es werden sollen.
    Er stand eine ganze Weile mit dem Leichnam auf den Armen unten im Graben, während die Gedanken durch seinen Kopf wirbelten. Der Hang zur Fahrbahn war nur einen Meter hoch, doch er war steil und der Regen machte ihn glitschig und trügerisch; der Mann glaubte nicht, darauf Halt finden zu können. Während er dort stand, kam kein Auto vorbei, doch er hörte in der Ferne, wie ein Moped sich näherte. Oder vielleicht auch ein Motorrad, dachte er. Als es vorüberfuhr, registrierte er, dass es sich um einen Roller handelte, und für einen Moment wurde er von den Scheinwerfern geblendet. Vermutlich — zumindest war er später davon überzeugt — vermutlich brachte ihn diese eine Sekunde blendender Helligkeit wieder zu Bewusstsein. Half seinem Denken wieder in rationale Bahnen zurück.
    Behutsam lehnte er den Leichnam gegen die Röhre. Spielte mit dem Gedanken, sich im nackten Gras das Blut von den
Händen zu wischen, gab diese Idee dann aber auf. Kletterte zurück auf die Fahrbahn, lief zurück zu seinem Auto.
    Registrierte, dass er rein reflexhaft den Motor ausgeschaltet haben musste, dass die Scheinwerfer jedoch noch brannten. Registrierte, dass der Regen wie eine wahnsinnige Naturkraft herunterprasselte. Registrierte, dass er fror.
    Er ließ sich hinter das Lenkrad sinken und schloss die Tür. Schnallte sich an und fuhr los. Die Sicht hatte sich jetzt verbessert, so, als habe der Regen die Fensterscheiben auch von innen abgewaschen.
    Nichts ist passiert, dachte er. Rein gar nichts.
    Er nahm die ersten Anzeichen heraufziehender Kopfschmerzen wahr, doch wieder tauchte die Erinnerung an die kühlen Hände seiner Mutter auf, und plötzlich war er sich ganz sicher, dass die Eukalyptusflasche doch noch nicht ganz leer war.

2
    Er erwachte und spürte als Erstes eine unbeschreibliche Erleichterung.
    Die hielt drei Sekunden an, dann ging ihm auf, dass es kein böser Traum gewesen war.
    Sondern Wirklichkeit.
    Der prasselnde Regen, das plötzliche leichte Rucken des Rades, der glitschige Straßengraben; all das war Wirklichkeit. Das Gewicht des Jungen in seinen Armen und das in die Kapuze tropfende Blut.
    Zwanzig Minuten lang lag er wie gelähmt im Bett. Das Einzige, was in dieser Zeit passierte, war, dass ihn ab und zu ein Schauder durchfuhr. Es begann ganz unten unter der Fußsohle, wanderte dann durch seinen Körper nach oben, um schließlich in seinem Kopf wie ein einziger weißer Blitz zu detonieren, und jedes Mal hatte er das Gefühl, als werde dabei ein wichtiger Teil seines Gehirns und seines Bewusstseins zerschossen.
Zu Eissplittern gefroren oder verbrannt, um niemals wieder repariert und wieder in Gebrauch genommen werden zu können.
    Lobotomie, dachte er. Ich werde einer Lobotomie unterzogen.
    Als die starrköpfig roten Ziffern auf seinem Radiowecker sich bis zu 07.45 Uhr vorgearbeitet hatten, griff er zum Telefon und rief an seinem Arbeitsplatz an. Erklärte mit einer Stimme, die so brüchig war wie Eis, das nur eine Nacht alt ist, die aber doch trug, dass er eine Grippe erwischt habe und einige Tage zu Hause bleiben müsse.
    Grippe, ja.
    Ja, wirklich Pech, aber nun einmal nicht zu ändern.
    Doch, sie könnten natürlich anrufen, wenn sie eine Auskunft brauchten.
    Nein, er würde im Bett bleiben. Ein paar Tabletten nehmen und so viel trinken wie möglich.
    Ja. Doch. Nein.
    Eine halbe Stunde später stand er auf. Trat ans Küchenfenster und schaute hinaus auf die triste Vorortstraße, wo der Regen sich zufälligerweise zurückgezogen und einem schweren, grauen Morgennebel Platz gemacht hatte. Und während er noch
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