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Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Titel: Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
Autoren: Ilija Trojanow
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partizipierten viele Glückssucher an dem aus der Erde gegrabenen Reichtum – die Karten mit den eingetragenen Claims (ausgestellt im örtlichen Museum) ähneln Patchworkdecken. Sukzessive nahm die kleinteilige Partizipation der vielen ab, eine Konzentration des Eigentums schluckte die Vielfalt, bis nur noch zwei Großminenbesitzer übrig blieben: de Beers und The Kimberley. Die entsprechende Karte zeigt nur noch zwei Farbblöcke. Gut zwanzig Jahre nachdem der Bauernsohn Erasmus Jacobs einen kleinen leuchtenden Kieselstein am Ufer des Orange River fand, amalgamierten die verbliebenen zwei Firmen zu einem Monopolisten – De Beers Consolidated Diamond Mines –, der den weltweiten Diamantenmarkt auch heute noch dominiert. Eines Tages waren alle Diamanten gefördert – zurück blieb ein großes Loch. Es gähnt nun zwecklos und hässlich inmitten einer Kleinstadt am nördlichen Kap, teilweise aufgefüllt mit grünlichem Wasser.
    Wie können wir es vermeiden, dass wir die ganze Welt in ein ausgelaugtes, tiefes Loch verwandeln? Ratschläge zum kritischen Denken und widerständigen Handeln sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie dem Einzelnen das vorkauen, was er aus eigenem Antrieb entwickeln sollte. Aber einige abschließende Gedanken, wie wir der Verüberflüssigung entgehen können, seien doch erlaubt.
    Wir müssen uns unverzagt vorstellen, wie eine bessere Gesellschaft und ein tatsächlich gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften aussehen könnten. Wir benötigen utopische Entwürfe, wir brauchen Träume, wir müssen Verwegenes atmen. Wer keine Visionen hat, sollte zum TÜV gehen. Zu den notwendigen Visionen gehört auch die Vorstellung, was es bedeuten würde zu obsiegen. Die Vorstellung des Gelingens wirkt enorm motivierend.
    Visionäres Denken und konkretes Handeln schließen einander nicht aus. Man kann einer Überwindung des Systems das Wort reden und sich trotzdem dafür einsetzen, dass vorab bescheidene alternative Ansätze in die Wege geleitet werden. Die Revolution von morgen beginnt schon heute im Kleinen, in Strukturen, Netzwerken, Nischen, die freies und kollektives Gesellschaftsleben praktizieren und vorleben. Wir können nicht darauf warten, dass uns das Paradies nach einem Zusammenbruch des Systems wundersam in den Schoß fällt. Es gibt historische Anhaltspunkte, dass ein sich reformierendes System anfälliger ist für Umwälzungen. Allerdings dürfen wir nicht dem Irrglauben anheimfallen, dass die Häufung von kleinen Austritten die Machtverhältnisse grundsätzlich ins Wanken bringen kann. Die Flexibilität der Macht, sich auch an gesellschaftliche Aufbrüche anzupassen bzw. diese für sich zu nutzen, ist beachtlich. Das haben die Ereignisse von 1989 und den Jahren danach gezeigt, als es der Nomenklatura in Osteuropa gelang, den Rhythmus der Veränderungen in entscheidenden Momenten zu bestimmen und sich dabei in eine gleichbleibend dominante Oligarchie zu verwandeln.
    Wir dürfen nicht verzagen, in den Worten des Liedermachers Wolf Biermann »nicht die Waffen strecken vor dem großen Streit«. So selbstverständlich dies auch klingen mag, ja geradezu banal, es gerät uns häufig aus dem Blick. Gerade jene Menschen, die sich intensiv mit den sozioökonomischen Realitäten beschäftigen, jene also, die einen Wissensvorsprung haben, gehen in die Knie vor den massiven Problemen, Gefährdungen und Zerstörungen. Gewiss, es ist manchmal zum Verzweifeln, dieses Gefühl kennt jeder von uns, der die Übermacht der herrschenden Verhältnisse zu untergraben sucht. Aber wir müssen uns fragen, ob nicht die individuelle Verzweiflung samt der daraus folgenden Lähmung ein Luxus der Wohlhabenden ist. Die Menschen in den Slums von Bombay haben keine Freiräume, um zu verzweifeln, sie müssen, aus Überlebensdrang, aus Verantwortung für ihre Familie weiterkämpfen. Gerade wenn man das Privileg hat, keinen existenziellen Überlebenskampf führen zu müssen, sollte man sich nicht in seine Privatsphäre einigeln. Der oft geäußerte Aufschrei: »Es ist eh alles verloren!« oder »Es ist sowieso zu spät!« ist im Grunde Ausdruck einer affirmativen Haltung.
    Solange es den Kapitalismus noch gibt, müssen wir die namensgebende Chiffre des Systems ernst nehmen: das Geld. Was stellen wir damit an? Es ist erstaunlich, wie wenige Menschen, auch unter den gesellschaftskritisch eingestellten, sich Gedanken machen über den Einsatz ihres Geldes. Welchen Banken vertrauen wir es an? Welche ethischen und nachhaltigen
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