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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen
Autoren: Phil Rickman
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blank, und er fühlte sich, als würden überall scharfe Splitter aus seiner Vergangenheit in seiner Haut stecken, wie gezackte Glasreste in einem Spiegelrahmen.
    Er suchte einfach nach der Ruhe des nächtlichen Flusses, um sich entspannen zu können. Das heutige Landleben, hatte Prof Levin am Morgen behauptet, ist eine einzige große Heuchelei.
    «Naturnah? Blödsinn! Das hier ist Schwerindustrie, Laurence. Da kurven Typen mit Baseballmützen auf Landmaschinen durch die Gegend, mit denen du auch eine ganze Autobahn bauen könntest – und die Stereoanlage mit sechs Lautsprechern in der Fahrerkabine versorgt den halben Staat mit Bassgedröhn. Unsere Straßen hier sind für diese Mistkerle jetzt schon nicht mehr breit genug.»
    Prof hatte Lol am T-Shirt zum Fenster gezogen, von dem aus man auf eine langgestreckte Wiese hinaussah, die sich bis zum Frome hinabsenkte.
    «Vor ein oder zwei Wochen waren sie beim Heumachen   …
Techno
-Heumachen besser gesagt. Im September fangen sie da drüben mit der Hopfenernte an, und zwar vollmechanisch. Du brauchst nur mal einen Blick auf diese riesigen Traktoren zu werfen, dann verstehst du, was ich mit Schwerindustrie meine. Sie hören nicht mal auf, wenn es dunkel wird! Da sind Lampen drauf, das sind die reinsten Flakscheinwerfer – haben jetzt Schichtarbeit eingeführt! Kein Mensch hört mehr einen Hahn krähen. Das, Laurence   … das ist das neue Landleben. Und was mache ich? Ich polstere die Wände dreifach mit Schallschutzmatten, damit ich
sie
nicht störe!»
    Prof Levin grinste verzagt durch seinen weißen Nagelbürstenbart: ein drahtiger Mann mit kahlrasiertem Kopf über sechzig – wie weit über sechzig würde niemand so genau erfahren, bevor er tot war, und vielleicht nicht einmal danach. Als Lol ihn kennengelernt hatte, war Prof einer der besten Aufnahmetechniker in der internationalen Musikszene gewesen, hatte ungezählte Aufträge gehabt und war dann, nach vierzig Jahren im Geschäft, zum allseits gefeierten Produzenten geworden, zu einer Ikone, einem Orakel.
    Inzwischen hatte sich das Orakel für den Rückzug aufs Land entschieden und mit einem Schulterzucken den späten Ruhm und die Mainstream-Produktionen hinter sich gelassen. Er produzierte nur noch Musik, die es wert war, aufgenommen zu werden, und auch nur, wenn er dazu in der passenden Stimmung war. Gerade richtete er sich ein Aufnahmestudio mit allen Schikanen ein, ein privates Kompetenzzentrum am Ende der Welt. Knight’s Frome? Ja, das klang genau richtig. Wer zum Teufel hatte jemals von einem Ort namens Knight’s Frome gehört?
    Ja, wer? Im Süden gab es mindestens einen weiteren Fluss namens Frome, nur dass dieser Fluss viel größer war. Im Tal des Frome in Ost-Herefordshire aber gab es lediglich eine Kleinstadt und ein paar Dörfer und Weiler   – Bishop’s Frome, Canon Frome, Halmond’s Frome und das kleine Knight’s Frome. Und alle lagen tief eingebettet in die rote Lehmerde und waren von Obstplantagen, Weinbergen und Hopfengerüsten umgeben, hinter denen sich die Hügel der Malverns erhoben – Mittelenglands Antwort auf richtige Berge.
    Nicht, dass Prof auf irgendetwas davon Wert zu legen schien; ihm reichte die abgeschiedene Lage. Eigentlich war er nur deshalb hier und nicht in Westirland oder anderswo, weil ein alter Freund von ihm, der früher professionell Bass und Cello gespielt hatte, zurzeit Vikar von Knight’s Frome war. Es war dieser grundehrlicheTyp gewesen, der für Prof ein passendes Haus gefunden hatte: Es war ein Cottage mit einer alten Pferdestallung und Schweinekoben, jedoch ohne Gelände für Pferde oder Schweine, weshalb es zu einem ungewöhnlich erschwinglichen Preis angeboten worden war. Prof hatte nur mit den Schultern gezuckt:
Ich nehm’s
. Er hatte kein Bedürfnis danach, mit der Landschaft Zwiesprache zu halten – und mit Menschen übrigens auch nicht, es sei denn, es geschah über Kopfhörer.
    Eine Ausnahme machte er natürlich, wenn er Hilfe brauchte. Als er dort draußen angekommen war, zwischen Bergen von technischem Equipment von der Außenwelt abgeschnitten, hatte er einen SO S-Ruf an sämtliche Musiker und Musikenthusiasten abgesetzt, die er im Umkreis von achtzig Kilometern kannte – nur um festzustellen, dass die meisten von ihnen längst weitergezogen waren, einige davon auch schon ins nächste Leben.
    Schließlich waren nur Simon, der Vikar, und Lol Robinson, ehemaliger Songschreiber und zweiter Gitarrist der längst aufgelösten Band
Hazey Jane
,
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