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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige
Autoren: Nerea Riesco
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Kampfs zwischen den Heeren König Ferdinands  VI . und der mohammedanischen Sekte in Ceuta, eine Neuauflage der Zarzuela
Das Urteil des Paris und Der Raub der Helena
, der Brief des Grafen Nolegar Giatamor über die letzte Erhebung von Toren und Schwachköpfen … Sie wäre gerne nach Hause gegangen, hätte die Schuhe abgestreift und sich in den Patio gesetzt, um den intensiven Duft der Geranien einzuatmen, der sie immer an den Geruch alter Bücher erinnerte. Von dort konnte sie problemlos beobachten, was in der Druckerei vor sich ging. Sie genoss das gleichmäßige Rattern der neuen Druckerpresse, die sie aus Genua hatte kommen lassen, eine wirklich moderne Maschine, wie sie bis dato in Sevilla unbekannt gewesen war. Sie war mit Federn versehen, damit sich die Platte rasch heben ließ, und konnte zweihundertfünfzig Exemplare pro Stunde herstellen. Durch sie würde die Druckerei die beste der ganzen Stadt sein.
    Vor allem aber brannte Julia darauf, Leóns Gestalt zwischen den übrigen Angestellten zu sehen. Die Linie seines Kinns, seine meerblauen Augen, die straffe Muskulatur seiner Arme. Am Anfang hatte sie darauf geachtet, dass der junge Mann ihr Interesse nicht bemerkte, aber mittlerweile war es ihr egal, ob er ihren Blick im Nacken spürte und sich umdrehte. Wenn León sie dabei ertappte, wie sie mit dem strengen Gesichtsausdruck der Patronin, die die Arbeit ihres Personals überwachte, gebannt im Schatten saß und seine Wege und Handgriffe verfolgte, hielt er ebenfalls inne und erwiderte ihren Blick. Nicht herausfordernd, eher fragend. Julias Augen faszinierten ihn; bei diesem Messen mit Blicken blieb normalerweise sie die Siegerin. Er senkte dann verwirrt die Augen und setzte mit einem leisen Lächeln auf den Lippen seine Arbeit fort. Erst wenn León aufhörte, sie anzusehen, begann sie wieder zu atmen.
    Keiner wusste, woher León gekommen war. Vor Monaten war er aus dem Nichts aufgetaucht, eingehüllt in den Schleier des Geheimnisvollen. Eines Tages war er um die Kathedrale herumgeschlendert wie ein Seemann auf Landurlaub. Er hatte langes, fast weißblondes Haar, wahrscheinlich gebleicht vom Salz und der sengenden Mittagssonne. Er war betörend schön. Die meisten, die sich mit ihm unterhielten, konnten dem Nachdruck seiner himmelblauen Augen nicht standhalten und sahen schließlich zu Boden. León war einer dieser Menschen, die man als Normalsterblicher nicht so schnell vergaß. Seine Gestalt einer griechischen Statue, sein Schweigen, seine langsamen, sicheren Bewegungen betonten nur noch diese Aura des Unergründlichen, welche die Ängstlichen bedrückte und die Unerschrockenen faszinierte. Böse Zungen behaupteten, León habe zur Besatzung eines Schiffes gehört, das unter der Flagge mit dem Totenkopf und den zwei gekreuzten Knochen fuhr und dem Befehl des Piraten Calico Jack unterstand.
    Die Männer von der Brigantine, mit der er nach Sevilla gekommen war, berichteten alkoholselig in einer Hafenkneipe, was er ihnen während der Überfahrt erzählt habe: Er behauptete, auf der Insel Malta geboren zu sein, wo ihn die Türken entführt und ihm den Namen Asad gegeben hätten, die arabische Entsprechung für León. Eine Geschichte, die den Schwarzsehern unter ihnen die Haare zu Berge stehen ließ. Die Erwähnung von Piratenschiffen, türkischen Soldaten und stürmischer See rief Erinnerungen an die Wikinger wach, die im Jahre 844 mit ihrem blonden Haar und ihrer ungestümen nordischen Art den Guadalquivir hinaufgekommen waren, um unter Ausnutzung des gutgläubigen Charakters der Sevillaner in weniger als einer Woche die Stadt zu verwüsten.
    »Dieser Junge … der ist nicht von hier«, bemerkten die Älteren. »Auf den muss man ein Auge haben.«
    Julia erinnerte sich noch genau, wie sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Cristóbal Zapata, der Druckermeister, war ausgegangen, um einige Dinge zu erledigen, und sie war dageblieben, um die Geschäfte zu beaufsichtigen. Nie würde sie den Anblick dieses Bilderbuchkorsaren vergessen, der durch die Tür der Werkstatt gekommen war. Noch nie hatte sie die Schönheit eines Menschen so tief berührt.
    »Ich suche Don Diego de Haro«, stellte er sich vor, als er die Druckerei betrat. »Mein Name ist León. León de Montenegro.«
    Sie musterte ihn von oben bis unten.
    »Ihr kommt zu spät. Mein Mann ist vor fast fünf Jahren gestorben«, erklärte sie. »Kann ich Euch vielleicht helfen?«
    Er schien überrascht zu sein. Doch dann holte er tief Luft und sprach weiter.
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