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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Rücken und antwortete nicht. Er starrte nur mit seinen sehr weit aufgerissenen Augen in den Himmel. Wie im Koma. Hastig begann der Hilfsarzt eine Herzmassage und beatmete ihn Mund-zu-Mund. Als Expedito González endlich zu sich kam, fragte er mit einer Stimme, die nicht wie seine eigene klang (nicht mehr heiser wie eine Schiffssirene, sondern sonderbar flötend), ob er den Elfer bekommen habe. Als der Trainer meinte, ja, sie hätten ihn bekommen, er solle sich keine Sorgen machen, lächelte er dünnund sagte, ob die Guten gehört hätten, wie die Leute ihn bejubelten, als er mit dem Ball auf den Kopf aufs Tor zulief. »Habt ihr gehört, wie sie meinen Namen riefen?«, waren seine letzten Worte. Dann hörte sein Herz zu schlagen auf, und der irre Glanz in seinen Vogelaugen erlosch für immer.
    Wir hatten den Messias mit einem Tritt in die Weichteile umgebracht.
    Als der Traumkicker in seinen Armen sein Leben aushauchte, presste Don Agapito Sánchez erst hilflos ein Vaterunser zwischen den Zähnen hervor und fluchte dann leise:
    »So eine oberaffenarschige Papageienscheiße!«
    Dann sah er den Hilfsarzt an, und mit plötzlich veränderter Miene (als wäre der ungesunde Glanz der Traumkickeraugen auf seine übergesprungen) sagte er, jetzt heiße es dichthalten, Sportsfreund, hier sei nichts passiert.
    »Was soll das heißen, nichts passiert!«, flüsterte der Arzt erschrocken. »Der Mann ist tot!«
    »Ja, aber noch darf das niemand wissen.«
    Wenn sie jetzt sagten, dass der Spieler gestorben war, redete der Trainer auf ihn ein, dann brach der Schiedsrichter das Spiel ab. Oder die Staubfresserärsche nutzten es aus, um sich vom Acker zu machen, und der Strafstoß würde nicht ausgeführt. Und das werde er auf keinen Fall zulassen. Der Traumkicker müsse am Leben gehalten werden, bis der Elfer ausgeführt war, und basta.
    »Aber der Mann ist tot«, beharrte der Hilfsarzt mit zittrigem Kinn.
    »Aber es weiß keiner, verdammt!«
    »Aber sie kriegen es doch sofort mit.«
    »Packen Sie mit an, wir schaffen ihn vom Feld, und Sie lassen niemanden in seine Nähe. Wenn jemand fragt, sagen Sie, er ist ohnmächtig.«
    Ehe sie den Traumkicker vom Feld trugen (der Hilfsarzt hatte ihn unter den Achseln, der Trainer an den Füßen gepackt), rief Agapito Sánchez, vor allem zur Ablenkung, Tuny Robledo zu, er solle sich um den Elfmeter kümmern.
    »Chambeco ist nicht da, also trittst du ihn!«, befahl er in herrischem Ton.
    Tuny Robledo reckte den Daumen in die Höhe.
    Die Beisetzung von Expedito González fand am nächsten Tag um fünf am Nachmittag statt. Es waren fast so viele Leute dort wie beim Spiel. Neben der Blaskapelle der Grundschule, die Kirchenlieder und Trauermärsche spielte, begleiteten alle Vereine und Gruppen den Sarg, darunter sämtliche Clubs der Sportvereinigung in ihren Trikots, mit ihren Maskottchen und Fahnen.
    Als eine letzte Ehrenbezeigung beerdigte man ihn so nah wie möglich am Grab von Manuel »Lito« Contreras.
    Die Rothaarige oder Malanoche, das war uns schon einerlei, beweinte ihn aufrichtig. Am nächsten Tag erzählte sie uns, bevor sie mit California nach Tocopilla aufbrach, ein wenig von ihrer eigenen tragischen Geschichte: Sie war von Tocopilla aus einem billigen Jahrmarktsboxer in den Süden gefolgt, »verknallt aus lauter Blödheit«, und in Quillota hatte er ihr bei einer seinertäglichen Prügelanfälle einen Uppercut gegen die Schläfe verpasst, nach dem sie sich an nichts mehr erinnern konnte.
    Den weißen Ball des Traumkickers, der ihr rechtmäßig zustand, überließ sie uns als Erinnerungsstück. »Wir stellen ihn als Trophäe im Vereinsheim aus«, versprach Don Celestino Rojas.
    Die Diagnose, die der Arzt aus María Elena zur Todesursache des Traumkickers stellte, lautete »Hernienstrangulation« und war damit dieselbe, wie die unseres Radiosprechers (jedenfalls sagte das, wer nah genug bei ihm gestanden und ihn gehört hatte), als er von den Momenten vor der Ausführung des Elfmeters berichtete. Eines Elfmeters, der von Tuny Robledo getreten werden sollte und nicht nur der wichtigste Torschuss seines und selbstverständlich unseres Lebens war, sondern der bedeutendste Torschuss in der Sportgeschichte der kleinen Salpetersiedlung Coya Sur. So groß war die Erwartung in diesem Augenblick, dass alle im Rudel hinters Tor stürzten, um die Ausführung aus nächster Nähe zu sehen und ja kein Detail zu verpassen. Wussten wir doch, es würde der erste Elfmeter unseres jungen Mittelstürmers sein,
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