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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Geschichte eingehen? Und großspurig wie immer sagt uns Choche Maravilla, ja, er wird drei Tore schießen und... aber aufgepasst, liebe Zuhörer, der Schiedsrichter steht jetzt am Mittelkreis und ruft die Mannschaften zu sich, und dort hinten läuft die Elf der Staubfresser auf, angeführt vom berüchtigten Pata de Diablo, und hier kommen die Unseren hinter ihrem Kapitän, dem zentralen Verteidiger Crispeta Mundaca, und nachdem er die Mannschaften begrüßt hat, wendet sich der Schiedsrichter an die Kapitäne, jetzt wirft er die Münze, und offenbar haben die Staubfresser gewonnen, ja, liebe Zuhörer, sie haben gewonnen und dürfen sich die Seite aussuchen, und sie möchten mit dem Wind beginnen; nun denn, meine Damen und Herren, werden unsere drei zentralen Spitzen den Ball also zunächst von West nach Ost aufs Tor bringen müssen, und gleich geht es los, Herrschaften, es geht los, alles ist bereitet und steht bereit, das Publikum fiebert, der Himmel ist blauer denn je, und zum Glück für uns und Pech für die anderen haben sich die abendlichen Winde erhoben, der Schiedsrichter sieht in diesem Moment auf die Uhr, er schaut zu seinen beidenLinienrichtern hinüber, er hebt eine Hand, und jetzt ertönt der Pfiff, das Spiel läuft, verehrte Damen und Herren, es läuft, meine lieben Patienten, beim großen Einlauf und allen phenylalaninen Hydrolasen, es läuft das letzte Spiel vor dem Ende der Welt!

VII
    An diesem ersten Sonntag im November erwachte Coya Sur unter einer satten Sonne und von Menschen überlaufen. All die verlorenen Söhne der Siedlung, die gekommen waren, um ihre Toten zu besuchen, waren über Nacht bei Angehörigen, Freunden oder Paten geblieben, weil sie am nächsten Tag ihre Herzensmannschaft spielen sehen wollten. Sie mussten bleiben: Dieser kleine Flecken Erde inmitten der Wüste war noch immer die Heimat ihrer Erinnerung, der Ort ihrer Träume, das Zentrum ihres Universums. Alle waren froh an diesem Morgen. Heitere Festtagsstimmung lag in der Luft. Am Vorabend hatte jemand »unter uns« das Gerücht verbreitet, zu behaupten, der Traumkicker spiele nicht, sei bloß eine Finte vom alten Schlitzohr Agapito Sánchez, ein psychologischer Schachzug, der die Staubfresser in Sicherheit wiegen sollte. Und so standen die Leute am Morgen unbeschwert und erwartungsvoll auf, mit einem vorfreudigen Kribbeln im Bauch. Obwohl ein paar Unverbesserliche natürlich wie immer Wasser in den Wein gekippt und gesagt hatten, dieser Unsinn werde doch nur geglaubt, weil man unbedingt gewinnen wolle.
    Allerdings gab es da etwas, das hatten weder die einen noch die anderen mitbekommen, sofern sie nicht sehr früh aufgestanden waren und es mit eigenen Augen sahen: Expedito González, unsere letzte fußballerischeHoffnung, hatte die Nacht im Freien verbracht, blau wie der Himmel über der Wüste. Zusammengerollt neben einem Hühnerstall hielt er seinen weißen Ball umklammert wie ein Schiffbrüchiger die rettende Planke, hatte sich erbärmlich vollgekotzt und bis an die Knöchel bepisst.
    In der Nacht zuvor hatten die meisten von uns die Kneipe wegen der hitzigen Ereignisse, die uns bevorstanden, früher als gewöhnlich verlassen. Expedito González war flennend und Rancheras singend, die von undankbaren, fortgegangenen Frauen handelten, noch geblieben und wollte seinen Liebeskummer ersäufen. »Ersäufen will ich ihn! In einem Fass Wein!«, lallte er. Wie sehr wir auch auf ihn einredeten, so ein scheiß Kummer sei nicht zu ersäufen, der könne besser schwimmen als sonst was, und ihn ins Bett schickten, in seinem Suff wollte er nicht auf uns hören. Zusammen mit Cachimoco Farfán saß er bei einer Gruppe ehemaliger Coya-Bewohner, die früher hier Gleisarbeiter gewesen waren, und die Gleisarbeiter galten schon immer als die schlimmsten Schluckspechte und Rabatzmacher der Salpeterindustrie.
    Kurz bevor wir uns verabschiedeten, führte unser Traumkicker noch zwischen den Tischen »zu Ehren der Besucher« ein paar Kunststückchen mit seinem Ball vor. Dann, um sein unbestreitbares Können deutlicher unter Beweis zu stellen, nahm er eine Zigarettenschachtel dafür und danach einen Salzstreuer. Zu guter Letzt bat er Doña Emilia um ein rohes Ei.
    »Ein weißes Ei, wenn Sie die Güte hätten, Verehrteste.«
    Und in einem prahlerischen Anfall lieferte er uns eine Vorstellung von extremer Virtuosität: Besoffen, wie er war, vollführte er über Minuten seine unglaublichsten Zaubereien mit dem Ei. Dem Kneipenpublikum verschlug es den
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