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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition)
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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die knarrenden Stiegen zu ihrer Dachwohnung emporstieg. Sie konnte es kaum erwarten, Alf von diesem aufregenden Tag zu berichten. Mit ihm teilte sie, gefahrlos für ihr Herz, die Wohnung, denn Alf war schwul und ein bisschen verrückt. Genau dafür liebte Joe ihn. Im Gegensatz zu ihr konnten die meisten Menschen jedoch nicht begreifen, warum Alf sich in einer Zeit der Rastlosigkeit, in der Stress als Kompliment galt, unbeweglich wie eine Statue und verkleidet wie ein silberner Ritter stundenlang zwischen eilig hin und her hetzende Menschen auf den Marienplatz stellte und sich freute, wenn Kinder ihn zwickten, um zu prüfen, ob er echt sei.
    Alf hingegen zwickte Joe, wenn sie ihren zackigen Baustellen-Ton anschlug, um sie daran zu erinnern, dass sie als Frau noch vorhanden war.
    Ja, jetzt fühle ich mich auch endlich wieder so, dachte Joe und schloss die Wohnungstür auf.
    »Es gibt Gulasch mit Knödel.« Alf küsste sie zur Begrüßung. Sie roch sein Parfum, das sich mit der Schärfe der Chilis, Paprika und Zwiebeln vermischt hatte. Der niedrige Tisch im Wohnzimmer, vor dem sie nur im Knien auf dem Boden essen konnten, war bereits gedeckt.
    Joe konnte nicht kochen. Was sie auch nicht weiter schlimm fand. Dafür wechselte sie in siebeneinhalb Minuten vier Autoreifen und gewann fast immer beim Kartenspiel, zu dem sie sich manchmal in der Mittagspause von ihren Monteuren überreden ließ.
    Joe aß mit Appetit, trank dazu Bier aus der Flasche und berichtete Alf in allen Einzelheiten von ihrer Begegnung mit Konstantin, ja selbst den Tonfall seiner Stimme ahmte sie nach. Sie erzählte, wie schwer es ihr anfänglich gefallen war, sich als Klempnerin zu outen, denn was wusste ein berühmter Galerist schon von Gas, Wasser und Scheiße?
    Alf hörte ihr aufmerksam zu. Aufrecht und im Schneidersitz saß er in seinen kitschig geblümten Schlabberhosen vor ihr. Seine Haut schimmerte noch leicht von Gold bestäubt, denn er hatte heute wieder viele Stunden unbeweglich in die Seelen der vorbeihetzenden Menschen geblickt. »Was hast du eigentlich gegen Gas, Wasser und Scheiße?«
    »Nun ja. Ist ja nicht gerade megasexy. Außerdem wollte nicht ich Klempner werden – mein Vater wollte es so.« Joe fixierte ihre Fingernägel, unter denen sich noch Spuren von Schmiere befanden, obwohl sie sie mit einer Bürste geschrubbt hatte.
    »Das macht es natürlich schwerer zu wissen, was man eigentlich selbst will.« Alf brachte es wie immer auf den Punkt.
    Etwas später, als Joe dann im Bett lag, betrachtete sie durch das Dachfenster den Mond. Rund und hell schien er auf sie herunter. Plötzlich standen ihre Wünsche so klar vor ihr, als hätte das Mondlicht sie erleuchtet. Sie wollte endlich mehr als nur eine neue Folge von Sex andthe City, bei der sie stets Zuschauerin war, gefeit vor Liebeskummer. Sie wollte wieder ihr Herz und ihren Körper spüren. Endlich neben einem Mann auf dem Sofa sitzen, der nicht schwul war, sondern jeden Zentimeter ihrer Haut lustvoll küsste. Sie wünschte sich einen Mann, der sie tröstete, wenn sie mal traurig war, und der sie euphorisch durch die Luft wirbelte, wenn sie vor Glück am liebsten geweint hätte. Sie hatte genug von ihrem alten Stoffhasen im Bett. Sie träumte vom warmen Körper eines Mannes, den sie am nächsten Morgen mit einem Kuss erwecken konnte. Joe wollte lieben, mit Herzklopfen und allem, was dazugehört. Sie starrte den runden, hellen Mond an, und der schien ihr zuzuflüstern: »Konstantin.«
    Joe wünschte, die Welt möge sich viel, viel schneller drehen, sodass morgen nicht morgen, sondern der Tag in einem Monat wäre. Denn dann wüsste sie bereits, ob all das, was sie heute für Konstantin empfand, vielleicht doch nur ihrer Einbildung entsprungen war.

Zwei
    Am nächsten Morgen parkte Joe ihren Kastenwagen direkt vor einem Bauzaun, vor dem unter anderem das Schild Betreten der Baustelle auf eigene Gefahr prangte. Dahinter hatten mächtige Bagger ein noch mächtigeres Loch für einen neuen Wohn- und Bürokomplex ausgehoben. In der Mittagspause hatte Joe die Großbaustelle auf ihrem Weg zum Nagelstudio entdeckt. Joe hätte nie gedacht, dass sie mal so einen Schönheitstempel aufsuchen würde. Aber der Gedanke an perfekt gefeilte Nägel hatte sich in ihrem Hirn festzementiert, denn sie wünschte sich, Konstantin würde beim nächsten Treffen wenigstens ihre Hand nehmen und küssen.
    Die durch Permanent-Make-up gestylten Augenbrauen und Lippen der Dame dieses Studios hatten Joe unwillkürlich
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