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Der Tote vom Kliff

Der Tote vom Kliff

Titel: Der Tote vom Kliff
Autoren: Hannes Nygaard
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Förderkörbe werfen konnte, die auf dem Weg nach oben waren und
jetzt standen. Balzkowski war nirgends zu entdecken.
    Lüder durchfuhr ein eisiger Schreck. Für einen Moment
schwankte er auf dem schmalen Steg, griff verzweifelt an das Geländer und
klammerte sich daran fest. Das konnte er sich nicht vorstellen.
    Er atmete ein paar Mal tief durch, drehte sich
vorsichtig um und begab sich auf den Rückweg. Lüder versuchte sich auf den
schmalen Steg zu konzentrieren. Dann hatte er die Treppe erreicht und tastete sich
abwärts. Das erwies sich als schwieriger als angenommen, weil er nun die ganze
Zeit den Blick in die Tiefe gerichtet hatte. Es war nicht nur die Anstrengung,
die sein Herz rasen ließ. Nach einem ihm unendlich lang erscheinenden Abstieg
hatte er wieder festen Boden unter den Füßen und wurde sofort von einem Pulk
von Arbeitern umringt, die mit Fragen auf ihn einstürmten.
    Lüder holte sein Handy hervor und wählte die
Einhundertzehn. Er musste sein Anliegen zweimal wiederholen, bis der Beamte in
der Leitstelle der Dortmunder Polizei verstanden hatte, dass Lüder im Zuge der
Amtshilfe um die Entsendung einer größeren Anzahl von Spurensicherern und
Kriminaltechnikern zum Hochofen der Vereinigten Dortmunder Hütte bat.
    Während seines Telefonats hatte sich eine Gasse
gebildet, und ein älterer Mann mit randloser Brille, unter dessen Helm dichtes
grau meliertes Haar hervorquoll, trat in den aus Neugierigen gebildeten Ring.
    »Wer hat den Halt der Skipanlage veranlasst?«, fragte
er in barschem Ton.
    »Ich.«
    »Wie kommen Sie dazu? Wer sind Sie überhaupt?«
    Statt einer Antwort zeigte Lüder seinen Dienstausweis,
den der Mann ausführlich studierte.
    »Polizei aus Kiel. Sie haben hier überhaupt nichts zu
sagen oder zu suchen«, schnauzte er. »Die Anlage wird sofort wieder angefahren.«
    »Nein«, sagte Lüder mit Entschiedenheit. »Sie dürfen
erst wieder starten, nachdem die Spurensicherung alles akribisch untersucht
hat.« Er nahm den Mann zur Seite und erläuterte ihm seinen Verdacht. Sein
Gegenüber wurde plötzlich leichenblass, taumelte ein wenig und nahm Lüders
Stütze an, als dieser ihn vorsichtig am Ellenbogen packte.
    Wenig später erschienen die ersten Beamten der
Dortmunder Kripo, ließen sich von Lüder einweisen und begannen mit Routine ihre
Arbeit.

NEUN
    Der wechselhafte April hatte sich seit dem Wochenende
von seiner guten Seite gezeigt. Das regnerische Wetter hatte sich gen Osten
verzogen und war einem Hoch gewichen, das den nahen Mai ankündigte. In Kiel
zeugten die Heerscharen, die bei den ersten warmen Sonnenstrahlen das Ufer der
Förde bevölkerten und die Kiellinie auf und ab promenierten, vom Wetterwechsel.
    Lüder fand dafür keine Zeit. Er war nach seinem
Einsatz in Dortmund in die Landeshauptstadt zurückgekehrt und hatte sich dem
unvermeidlichen Schreiben der Berichte und Protokolle gewidmet.
    Heute, fast eine Woche nach seiner Exkursion ins
Ruhrgebiet, lag der vorläufige Bericht der dortigen Kriminaltechnik vor. Man
hatte in zäher und aufwendiger Kleinarbeit an einer Hunte Mikrospuren von
Fasern festgestellt, die sich in hoher Wahrscheinlichkeit Lothar Balzkowski
zuordnen ließen. Wie so oft in solchen Fällen gab es allerdings keine
hundertprozentige Gewissheit.
    Lüder rief in Husum an und informierte Große Jäger.
    »Das ist wieder einer der merkwürdigen Fälle«, sagte
der Oberkommissar, »die mir immer dann begegnen, wenn ich mit Ihnen zu tun
habe. Nun bin ich auf die Schlagzeile von diesem Dittert gespannt, die etwa so
lauten könnte: ›Blutrünstiger Kriminalrat wirft Unschuldigen in Hochofen‹.«
    »Das ist aber sehr schwarzer Humor«, gab Lüder zu
bedenken.
    »Besteht keine Möglichkeit, in einem Hochofen den
Verbleib eines Menschen nachzuweisen?«
    »Nein«, sagte Lüder. »Da herrschen so enorme
Temperaturen, da verdampft alles.«
    »Was wird dort hergestellt?«, wollte der Oberkommissar
wissen.
    »Roheisen, das zu Stahl veredelt wird.«
    »Und was macht man daraus?«
    »Eisenbahnschienen. Wie gut, dass niemand weiß, dass
er möglicherweise über Lothar Balzkowski rollt, wenn er mit dem Zug quer durch
Deutschland rauscht.«
    Große Jäger war einen Augenblick still. Dann erwiderte
er mit gespielter Entrüstung: »Sie sind nicht minder schwarz beseelt, auch wenn
Sie mir Vorwürfe machen.«
    »Deshalb arbeiten wir auch gut als Team zusammen.« Und
das, obwohl ich beim LKA als
notorischer Einzelkämpfer verschrien bin, setzte Lüder den Gedanken im
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