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Der Tote vom Kliff

Der Tote vom Kliff

Titel: Der Tote vom Kliff
Autoren: Hannes Nygaard
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dem angerosteten
Drahtkorb und suchte am Bund nach dem passenden Schlüssel. Mit Erstaunen bemerkte
sie, dass die rote Leuchtdiode, die die scharf geschaltete Alarmanlage
signalisierte, aus war. Entweder war jemand im Haus, oder einer der Gäste, dem
das Gebäude großzügig vom Hausherrn überlassen worden war, hatte vergessen, das
System anzuschalten. Kopfschüttelnd öffnete sie die schwere Bohlentür und trat
in den kleinen Flur, von dem die Hauswirtschaftsräume abgingen. Sie suchte die
Waschküche auf, zog sich um und betrat die großzügige Küche aus naturbelassenem
gewachstem Eichenholz. Irgendjemand hatte die Kaffeemaschine in Betrieb gesetzt
und vergessen, sie auszuschalten. Die Kaffeedose aus Keramik stand geöffnet
daneben.
    Imke Feddersen reinigte das Gerät, setzte eine neue
Maschine auf, um gewohnheitsmäßig ihren Morgenkaffee zu kochen, knotete sich im
Weitergehen ihre Schürze zu und betrat den kleinen Flur, der in die große Diele
führte. Sie wollte sich zunächst vergewissern, ob nicht doch jemand im Haus
war, den sie mit ihrer Hausarbeit hätte stören können. Sie durchquerte die
Diele, bemerkte mit einem Seitenblick die Fußabdrücke, die von der schweren
Eingangstür zum Wohnbereich führten, und öffnete die Tür zum Garderobenzimmer.
    Aha!, dachte sie, als sie den dunklen Herrenmantel und
ein weißes Damenpelzcape sah. Der Hausbesitzer konnte es nicht sein. Dafür war
der Mantel zu klein. Es wunderte sie nicht. Oft waren Fremde hier zu Gast, ohne
dass der Eigentümer zugegen war.
    Sie ging zur großen geschnitzten Doppelflügeltür, die
in den Wohnbereich führte, klopfte und öffnete, als sie keine Antwort vernahm.
Vermutlich hätte man sie bei dem massiven Holz auch nicht wahrgenommen.
    Irgendjemand hatte hier gefeiert. Die Leute, die sich
in diesem Anwesen bewegten und sich großzügig aus den Vorräten des Hausherrn
bedienten, hielten es nicht für nötig, ihre Hinterlassenschaften wegzuräumen.
Auf einem der niedrigen Glastische, die nahe beim wuchtigen offenen Kamin
standen, fand Imke Feddersen einen Sektkühler, in dem noch eine offene Flasche
steckte. Eine zweite, leer getrunkene stand achtlos daneben. Eine
Mineralwasserflasche, ein nicht ausgetrunkenes Whiskyglas, ein voller
Aschenbecher sowie ein Tablett mit kleinen Leckereien, die nur zum Teil
gegessen worden waren und deren Reste angelaufen auf die Entsorgung warteten,
zeugten von einer kleinen Party, die hier stattgefunden hatte. Imke kehrte in
die Küche zurück, besorgte sich ein Tablett und räumte alles zusammen. Sie
holte sich einen Eimer mit Wasser und Spülmittel und wischte gründlich den
Tisch ab. Sie wunderte sich schon lange nicht mehr über das Verhalten der sogenannten
feinen Leute, zu denen ihr Arbeitgeber und seine Gäste gehörten. In ihrem
Freundeskreis war es nicht üblich, mit fettigen Fingern Abdrücke auf der
Glasplatte zu hinterlassen. Intensiv schrubbte sie den Tisch und beugte sich
zwischendurch immer wieder hinab, um im Gegenlicht zu prüfen, ob alle Spuren
beseitigt waren. Zufrieden kehrte sie in die Küche zurück, spülte die Gläser
aus, roch prüfend am Whiskyrest und verzog dabei das Gesicht, bevor sie ihn in
den Ausguss kippte. Sie leerte den stinkenden Aschenbecher in die Mülltonne,
die auf der Rückseite der Garage stand, spülte alles unter fließendem Wasser ab
und stopfte es in den Geschirrspüler. Inzwischen war ihr Kaffee durchgelaufen.
Sie trug die Kanne in die Waschküche, in der sie sich umgezogen hatte, entnahm
einem Schrank einen Becher mit dem Aufdruck »Mamas«, ein Geburtstagsgeschenk
ihrer Tochter Berit, und setzte sich auf einen Klappstuhl. Genüsslich ließ sie
das duftende schwarze Gebräu die Kehle hinabrinnen. Doch nach zwei Schlucken
sprang sie wieder auf. Es wartete noch viel Arbeit auf sie. Auch wenn sie fünf
Tage die Woche, bei Bedarf auch am Wochenende, acht Stunden mit der Hauspflege
beschäftigt war, ließ allein die Größe des Hauses wenig Zeit für Pausen.
    Seit drei Jahren war Imke Feddersen hier beschäftigt.
Sie war froh, in dieser strukturschwachen Region, die keine große Auswahl an
Arbeitsplätzen bot, diesen Job erhalten zu haben. In der Saison bot Sylt jede
Menge Arbeit, aber in den Monaten, in denen weniger Gäste auf der Insel
weilten, war das Jobangebot entsprechend reduziert.
    Sie überlegte einen Moment, womit sie beginnen könnte,
ohne die vermutlich im hinteren Trakt noch schlafenden Hausgäste zu stören. So
suchte sie noch einmal den großen
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