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Der Tote in der Wäschetruhe

Der Tote in der Wäschetruhe

Titel: Der Tote in der Wäschetruhe
Autoren: Wolfgang Swat
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Zunächst will Frank flüchten in der Annahme, dass sein Sohn den Sturz nicht überlebt hat. Nach ungefähr 50 Metern wird ihm die Zwecklosigkeit seines Davon-rennens bewusst. Er kehrt um und hört das Baby schreien. Ein ihm fremder junger Mann hat es auf dem Arm. »Gib ihn mir, er muss doch ins Krankenhaus«, bettelt der verstörte Vater. Der Helfer verweigert es ihm mit den Worten: »Lassen Sie mal, Sie zittern ja viel zu sehr.« Kurze Zeit später treffen ein Funkstreifenwagen der VP und ein Rettungsfahrzeug des DRK ein, die Nachbarn alarmiert haben. Das Kind wird ins Krankenhaus gebracht und Frank Bärle nach ersten Befragungen vor Ort zum Polizeirevier geschafft. Ein dort durchgeführter Test ergibt bei ihm einen Alkoholwert im Blut von 1,2 Promille.
    Wie üblich bei solchen schweren Straftaten fordert die Staatsanwaltschaft Cottbus ein psychiatrisches Gutachten über den
    Tatverdächtigen an. Der sachverständige Experte für die Cottbuser Ermittler ist in der Regel Prof. Dr. med. Ehrig Lange von der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« in Dresden. Er soll Geisteszustand, Persönlichkeitsentwicklung und Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten untersuchen.
    Frank Bärle hat es in seinem Leben bedingt durch gesundheitliche Probleme nicht einfach gehabt. Als er vier Jahre alt ist, stellen die Ärzte bei ihm Schwerhörigkeit fest. Mit sechs Jahren wird er erstmals von einem epileptischen Anfall heimgesucht. Mit Tabletten ist die Krankheit jedoch beherrschbar. In der Schule hat der Junge Schwierigkeiten, vor allem dann, wenn Denkleistungen gefordert sind. Rechtschreibung und Kopfrechnen bereiten ihm besondere Schwierigkeiten, und das auch noch Jahre später. Lesen macht ihm Spaß. Einmal bleibt er in der Schule sitzen und wird nach acht Jahren aus der siebten Schulklasse entlassen. Die Mitschüler hänseln ihn bis zur Un-erträglichkeit. Sie verpassen ihm Spitznamen wie »Pellkartoffel«, nehmen den Ranzen weg und schütten den Inhalt aus oder greifen ihm schmerzhaft zwischen die Beine. Dabei möchte er sein wie seine Altersgefährten. Er erfindet Storys, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Anerkennung erlangt er so nicht: Er wird als Spinner verachtet.
    Mit Mädchen kommt der Junge besser aus. Von ihnen fühlt er sich akzeptiert. Auch später bei Tanzveranstaltungen geht er bei ihnen »als guter Tänzer richtig ab«, wie er selbst einschätzt. Damit die Mädchen ihm seine Schwerhörigkeit nicht auf den ersten Blick ansehen, trägt Frank lange Haare, um das Hörgerät zu verdecken. Besonders gern erinnert er sich an Situationen, in denen er seine Männlichkeit bestätigen kann und gegen Konkurrenz erfolgreich ist. Andererseits plagen ihn Selbstmordgedanken, wenn er sich gehänselt und beleidigt fühlt.
    Unter Alkoholeinfluss reagiert Frank Bärle häufig aggressiv. Einmal bekommt dies sogar sein Vater zu spüren, und der herbeigerufene Arzt, der ihm eine Beruhigungsspritze geben will, nachdem er aus dem Badfenster der elterlichen Wohnung im ersten Stock gesprungen war.
    Am Ende der gründlichen nervenärztlichen Untersuchung kommt Prof. Dr. Lange zu dem Schluss, dass zum Tatzeitpunkt bei Frank Bärle eine erhebliche Verminderung der Zurechnungs-fähigkeit bestand. Die Tat sei nach Ansicht des Gutachters zu kennzeichnen als affektiv fehl- bis ungesteuerte Reaktion eines hirngeschädigten und in der zwischenmenschlichen Kommunikation schwer beeinträchtigten abnorm erregbaren jungen Mannes, der zusätzlich unter erheblicher Alkoholeinwirkung stand. Sein Intelligenzgrad ist gering, doch schwachsinnig im medizinischen Sinne ist er nicht.
    Unter diesen Gesichtspunkten klagt die Staatsanwaltschaft Frank Bärle im August 1978 an, dass er »das Leben eines Säuglings erheblich gefährdet und ihn schwer an der Gesundheit geschädigt« habe. Er habe ein Kind töten wollen, um das er sich sonst stark bemühte, nur um auf brutale Weise Druck auf die Entscheidung seiner Verlobten auszuüben, die ihn aus der Wohnung weisen wollte.
    Noch im gleichen Monat findet der Prozess vor dem Bezirksgericht Cottbus statt. Entgegen der Auffassung des Gutachters erkennt das Gericht in der Tat jedoch keine Affekthandlung und billigt Frank Bärle auch keine psychische Zwangslage zu. Diese ergebe sich überwiegend aus einem langen Konflikt, auf dessen Höhepunkt der Täter in seiner Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sei. Eine solche Situation lag zum Zeitpunkt der Straftat nicht vor, heißt es in der Urteilsbegründung. Frühere
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