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Der Todeskanal

Der Todeskanal

Titel: Der Todeskanal
Autoren: Isaac Asimov
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Geschlechtsleben zu führen. Er war nie verheiratet, er hatte nie eine Geliebte.
    Um diesen Mangel zu kompensieren und eine Entschuldigung für sein Außenseitertum zu finden, flüchtete er sich in die Annahme, daß andere Menschen ihm unterlegen sind. Das mag vielleicht stimmen, soweit es seinen Verstand betrifft.
    Aber es gibt noch viele andere Facetten der menschlichen Persönlichkeit, und nicht in allen ist er überlegen. Kein Mensch wird das jemals sein. Andere Menschen, wenn sie auch ihre Unterlegenheit in gewissen Belangen anerkennen, werden seinen Anspruch auf absoluten Vorrang nicht akzeptieren. Sie würden denken, daß er etwas seltsam, ja sogar lächerlich ist. Und das macht es für Ralson nur noch notwendiger zu beweisen, wie armselig und unterlegen die Spezies Mensch ist. Und wie kann er das besser bewerkstelligen, als sich eine Theorie zurechtzuzimmern, die besagt, daß die Menschen nur Bakterien sind, mit denen andere, höhere Geschöpfe experimentieren. Und sein Selbstmordimpuls ist nichts anderes als eine wilde Sehnsucht, sich von allem, was menschlich ist, zu lösen, die Identifizierung mit dieser jämmerlichen Spezies zu beenden. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Grant nickte.
    »Der arme Kerl.«
    »Ja, er ist bedauernswert. Wenn seine Kindheit anders verlaufen wäre … Nun, es wird das Beste für Dr. Ralson sein, wenn er in keinen Kontakt mit den anderen Männern hier kommt. Er ist zu krank, als daß man ihn den anderen Wissenschaftlern anvertrauen könnte. Sie werden der einzige sein, der ihn sieht und mit ihm spricht. Dr. Ralson hat sich damit einverstanden erklärt. Er denkt offensichtlich, daß Sie nicht ganz so dumm sind wie die anderen.«
    Grant lächelte schwach.
    »Gut, ich werde tun, was Sie sagen.«
    »Sie müssen natürlich sehr vorsichtig sein. Sprechen Sie mit ihm nur über die Arbeit, über nichts anderes. Sollte er freiwillig von seinen Theorien erzählen, was ich bezweifle, so sagen Sie irgend etwas Unverbindliches und lassen ihn dann allein. Und sorgen Sie dafür, daß jeder spitze oder scharfe Gegenstand aus seiner Nähe entfernt wird. Ebenso darf er an kein Fenster herankommen. Versuchen Sie immer, seine Hände zu beobachten. Sie müssen mich verstehen. Ich lasse meinen Patienten in Ihrer Obhut. Sie sind für ihn verantwortlich, Dr. Grant.«
    »Ich werde mein Bestes tun, Dr. Blaustein.«
     
    Zwei Monate lang wohnte Ralson in einer Ecke von Grants Office, und Grant wohnte bei ihm. Vor den Fenstern waren Gitter angebracht worden. Alle hölzernen Einrichtungsgegenstände waren entfernt und durch weich gepolsterte Sofas ersetzt worden. Wenn Ralson nachdachte, lag er auf einer Couch und wenn er rechnete, saß er auf einem Kissen und schrieb an einem Schreibtisch, der ebenfalls aus weichen Kissen bestand.
    Vor dem Büro war die Aufschrift ›Bitte nicht eintreten‹ angebracht worden. Grant brachte das Essen. Der anschließende Aufenthaltsraum war für jeden privaten Gebrauch gesperrt worden, und die Tür zwischen den beiden Räumen hatte man zugemauert. Grant war dazu übergegangen, sich elektrisch zu rasieren, damit Ralson nicht durch ein Rasiermesser auf dumme Gedanken kommen konnte. Er vergewisserte sich, daß Ralson jeden Abend Schlaftabletten schluckte, und wartete, bis er eingeschlafen war, bevor er selbst schlief.
    Wenn Ralson die Forschungsberichte las, die ihm ständig gebracht wurden, so beobachtete Grant ihn unauffällig. Nach der Lektüre ließ Ralson die Papiere zu Boden fallen und beschattete die Augen mit der Hand.
    »Ist irgend etwas?« fragte Grant.
    Ralson schüttelte den Kopf.
    »Während des Schichtwechsels werde ich dafür sorgen, daß das Gebäude völlig leer ist. Sie müßten sich einmal die Versuchsanordnungen ansehen, die wir aufgebaut haben.«
    Sie gingen durch die erhellten, leeren Räume, Hand in Hand. Sie gingen immer Hand in Hand. Grants Griff war fest. Aber danach schüttelte Ralson noch immer den Kopf.
    Ein halbes dutzendmal begann er zu schreiben, kritzelte ein wenig auf dem Papier herum und warf dann die Kissen beiseite.
    Bis er schließlich wieder einmal zu schreiben begann und blitzschnell ein halbes Blatt Papier vollschrieb. Automatisch trat Grant näher. Ralson blickte auf und bedeckte das Papier mit seiner zitternden Hand.
    »Rufen Sie Blaustein an!« sagte er.
    »Was?«
    »Ich sagte, Sie sollen Blaustein anrufen. Er soll hierherkommen! Sofort!«
    Grant ging zum Telefon. Ralson schrieb immer rascher. Er hielt nur ab und zu inne, um sich mit
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