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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter
Autoren: Georg Diez
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eine helle Hose, ein langärmliges T-Shirt,
     ihre Steppjacke, einen ihrer bunten Schals um den Hals. Nie hatte sie ein Nachthemd an. Das hätte sie zu sehr daran erinnert,
     wie krank sie war. Ich hob ihre Beine aufs Bett und sie ließ sich langsam nach hinten gleiten.
    Ich ging in die Küche und räumte die abgewaschenen Teller in den Schrank, obwohl ich wusste, dass ich mich zu ihr ans Bett
     setzen sollte, die Zeit nutzen, bei ihr sein. Aber so ist das. Ich schaute in den Garten, ich holte die leeren Gläser vom
     Tisch, ich stellte ein paar Wasserflaschen neben den Herd, damit meine Mutter sich nicht bücken musste, um die Flaschen aus
     dem Kasten zu holen. In einer halben Stunde würde die nächste Pflegerin kommen, die Abendpflege, ich wusste nicht genau, was
     sie machten mit ihr, waschen, das ja, aber mit ihr essen, dafür reichte die Zeit wohl nicht.
    Wer sagt einem, was man denken, was man fühlen soll? Ich fühlte noch nichts. Ich hatte Angst. Aber das war eher die Angst
     davor, etwas zu verpassen: eine Erfahrung, etwas, das mir bleiben würde.
    Morgen würde der Arzt kommen, oder an einem dernächsten Tage, der Arzt, dem sie vertraute, das war gut zu wissen. Sie lag stumm in ihrem Bett, ich nahm den Stuhl, der neben
     dem Bett stand, und stellte ihn so, dass sie mich sehen konnte. Ich fasste ihre Hand an und sie drehte sich zu mir und sah
     mich an.
    »Danke für den schönen Nachmittag.«
    »Auf dem Tisch steht Wasser, hier ist auch eine Flasche, du musst viel trinken.«
    »Ich weiß.«
    »Und die Socken lasse ich hier, ja?«
    »Schön.«
    »Und nachher kommt die Pflegerin.«
    »Hoffentlich nicht wieder die von gestern. Die war so grob, so ungeduldig. Die hat mich halb ausgezogen sitzen lassen.«
    »Das glaube ich jetzt nicht.«
    Sie sah mich an. Ich merkte, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
    »Na, sie wird dich doch nicht halb ausgezogen sitzen lassen.«
    »Du glaubst mir nicht.«
    »Doch, ich glaube dir.«
    »Ach, lass doch.«
    »Aber halb ausgezogen. Wo hat sie dich denn sitzen lassen?«
    »Du kannst sie ja fragen.«
    »Ich muss eigentlich los.«
    »Okay.«
    »Es war aber doch schön.«
    »Das sagst du immer an dieser Stelle.«
    Etwas flackerte kurz auf.
    Ich drückte ihr die Hand und stand auf.
    »Und grüß mir die rosa Prinzessin.«
    Wie jedes Mal, wenn ich die Tür hinter mir schloss, wusste ich nicht, ob ich traurig sein sollte oder glücklich.

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    2
    Die Wand war gelb, so wie jede Krankenhauswand gelb ist, an die man sich erinnern will. Ich stand vor ihrer Tür und wartete.
     Es war früher Abend, rechts den Gang entlang war das Schwesternzimmer, von dort kam ein leises Murmeln und von weiter hinten
     der Klang eines Fernsehers. Links den Gang entlang war es leer. Es roch nach nichts.
    Aber es musste nach etwas riechen. Es musste etwas geben, an das ich mich erinnern konnte.
    Die Tür öffnete sich und die Schwester kam heraus. Sie war nicht jung und nicht alt oder sie war jünger, als ich dachte. Ich
     schaute sie an, und ihr Gesicht war schon verschwunden. Ich wartete kurz, dann ging ich hinein und zog erst die Tür zu, bevor
     ich mich zu meiner Mutter umsah.
    Sie saß halb und lag halb, sie hatte die Augen geschlossen und die Decke bis unters Kinn gezogen, sie trug ein rotes Nachthemd,
     das konnte ich sehen, weil ihr rechter Arm unter der Bettdecke herausgerutscht war. Sie war schon seit zwei Tagen hier.
    »Du hast es mir doch versprochen«, hatte sie gesagt, als ich sie das erste Mal besuchte, kurz nachdem sieeingeliefert worden war, traurig und mit müden Augen, sie sah auf einmal ganz anders aus.
    »Du hast es mir doch versprochen«, den Vorwurf, der in diesem Satz lag, konnte ich verkraften, ich konnte ihn verstehen.
    Es war trotzdem bitter.
    Ihr Atem ging schwer, aber nicht mehr ganz so schwer wie am Tag zuvor. Es war ihr Hausarzt Doktor Koschine gewesen, der festgestellt
     hatte, dass sie Wasser in der Lunge hatte. Er war ein kleiner Mann mit Augen, die einen trösten konnten, obwohl sie traurig
     schauten. Er war einer der wenigen Menschen, denen meine Mutter bis zuletzt vertraute. Er wollte alles dafür tun, dass sie
     zu Hause sterben konnte. Auch deshalb mochte sie ihn. Wenn ich nicht wusste, wie ich sie dazu bringen konnte, mehr zu trinken
     oder wenigstens etwas Fisch oder Pudding oder irgendwas zu essen, dann rief ich Doktor Koschine an, der ihr bei seinem nächsten
     Besuch erklärte, dass sie etwas essen müsse. Und das tat sie dann manchmal auch.
    Meistens aber
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