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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen
Autoren: Kathy Reichs
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von Symbolen bedeckt, die, wie ich vermutete, mit schwarzem Magic Marker darauf gemalt waren.
    Daneben stand eine billige Gipsstatue. Die Frau trug eine lange, weiße Kutte, ein rotes Cape und eine Krone. In der einen Hand hielt sie einen Kelch, in der anderen ein Schwert. Neben ihr war eine winzige Burg oder ein Turm zu sehen.
    Ich versuchte, mich an die katholischen Heiligendarstellungen meiner Jugend zu erinnern. Irgendein Abbild der Heiligen Jungfrau? Eine Heilige? Obwohl mir die Darstellung irgendwie bekannt vorkam, konnte ich die Dame nicht identifizieren.
    Schulter an Schulter mit der Dame stand eine geschnitzte Holzfigur mit zwei Gesichtern, die in entgegengesetzte Richtungen schauten. Sie war etwa dreißig Zentimeter hoch, hatte lange, schlanke Gliedmaßen und einen erigierten Penis.
    Eindeutig nicht die Jungfrau, dachte ich.
    Die letzten in dieser Reihe waren zwei Puppen in gerüschten Baumwollkleidern mit mehreren Unterröcken, eins gelb, das andere blau. Beide Puppen waren weiblich und schwarz. Beide trugen Armreifen, Kreolen-Ohrringe und Medaillons an Halsketten. Blau hatte eine Krone, Gelb ein Kopftuch.
    Und ein winziges Schwert steckte in ihrer Brust.
    Ich hatte genug gesehen.
    Der Schädel war nicht aus Plastik. Es waren also menschliche Überreste vorhanden. Das Huhn war noch nicht lange tot.
    Vielleicht waren die an diesem Altar vollzogenen Rituale harmlos. Vielleicht nicht. Um sicherzugehen, musste die Bergung präzise nach Vorschrift durchgeführt werden. Scheinwerfer. Kameras. Eine Dokumentation der Bergungssequenz, damit jeder Schritt der Inbesitznahme nachgewiesen werden konnte.

    Ich ging zur Treppe. Nach zwei Stufen hörte ich ein Geräusch und hob den Kopf. Durch die Öffnung spähte ein Gesicht auf mich herab.
    Es war ein Gesicht, das ich nicht gern sah.

4
    Erskine »Skinny« Slidell ist ein Detective des Charlotte-Mecklenburg PD Felony Investigative Bureau/Homicide Unit. Also ein Beamter des Morddezernats der Kriminalpolizei von Charlotte-Mecklenburg.
    Im Lauf der Jahre habe ich schon ein paar Mal mit Slidell gearbeitet. Meine Meinung? Der Kerl hat die Persönlichkeit einer verstopfen Nase. Aber gute Instinkte.
    Slidells pomadisierter Kopf hing über der Tunnelöffnung.
    »Doc.« Slidell begrüßte mich gefühlsarm wie gewohnt.
    »Detective.«
    »Sagen Sie mir, dass ich nach Hause gehen, mir ein Bier aufmachen und meine Mannschaft anfeuern kann.«
    »Heute Abend nicht.«
    Slidell seufzte verärgert und verschwand dann aus meinem Sichtfeld.
    Während ich nach oben stieg, erinnerte ich mich an unsere letzte Zusammenarbeit.
    August. Der Detective betrat eben das Gerichtsgebäude des Mecklenburg County. Ich hatte als Zeugin ausgesagt und war auf dem Weg nach draußen.
    Slidell ist nicht gerade der Allerschnellste im Denken. Weder auf der Straße noch vor Gericht. Eigentlich ist das eine Untertreibung. Scharfe Verteidiger machen Hackfleisch aus ihm. An diesem Vormittag war seine Nervosität offensichtlich gewesen, die Augen waren dunkel umrandet, vermutlich hatte er die ganze Nacht kein Auge zugemacht.

    Als ich aus dem Treppenschacht stieg, fiel mir auf, dass Slidell an diesem Tag ein wenig besser aussah. Von seinem Sakko konnte man das nicht sagen. Bestehend aus grünem Polyester mit orangefarbenen Steppnähten sah das Ding sogar in diesem düsteren Keller grell und grässlich aus.
    »Der Beamte hier sagt, wir haben’s mit einem Hexendoktor zu tun.« Slidell drehte das Kinn in Gleasons Richtung.
    Ich beschrieb ihm, was ich in dem Unterkeller gesehen hatte.
    Slidell schaute auf die Uhr. »Wie wär’s, wenn wir uns die Sache morgen vornehmen?«
    »Rendezvous heute Abend, Skinny?«
    Hinter Slidell machte Gleason ein gedämpftes Geräusch in seiner Kehle.
    »Wie gesagt. Bier und Spiel.«
    »Sie hätten Ihren TiVo stellen sollen.«
    Slidell schaute mich an, als hätte ich ihm vorgeschlagen, er solle die nächste Shuttle-Mission programmieren.
    »Ist wie ein Videorekorder«, erklärte ich und zog einen Handschuh aus.
    »Wundert mich, dass das noch keine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.« Slidell schaute in die Öffnung zu meinen Füßen. Er meinte die Medien.
    »Dabei sollten wir es auch belassen«, sagte ich. »Rufen Sie die Spurensicherung über Ihr Handy an.«
    Ich streifte den zerrissenen Handschuh ab. Der Daumenballen war rot und geschwollen und juckte wie die Pest.
    »Sagen Sie ihnen, wir brauchen einen Generator und tragbare Scheinwerfer.« Ich warf beide Handschuhe in meinen Koffer.
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